Apg 17,16
A.Christlieb
Paulus in Athen.
Paulus betrachtet die Stadt Athen.
Apostelgeschichte 17, 16.
1. Worauf Paulus bei dem Anschauen der Stadt besonders achtete.
Die Stadt Athen war eine herrliche Stadt. Aus Vers 21
erfahren wir, daß viele fremde Personen aus anderen Ländern
kamen, diesen Ort zu besuchen. Das war nicht zu verwundern.
Sie bot sehr vieles. An ,,goldenen, silbernen und steinernen
Bildern, durch menschliche Kunst und Gedanken gemacht" (V.
29), fehlte es dort nicht. Allerlei schöne Tempel und
Altäre (V. 23) zierten die Straßen. Der berühmte Areopag
(,,Richtplatz", Vers 22) wurde von Tausenden besucht. Das
Auge des Paulus hat auf allen diesen Sehenswürdigkeiten
geruht. Er ging wie andere Ausländer durch die Stadt
hindurch und schaute alles an.
Und doch betrachtete er die Stadt ganz anders als andere
Besucher. Ihm war es nicht um Augenweide und Bereicherung an
Kunstkenntnissen zu tun. Ihm kam es auf etwas ganz anderes
an. Er suchte zu erkunden, wie es in dieser Stadt in der
wichtigsten, inneren Beziehung aussehe. Wie es mit der
Gotteserkenntnis in Athen stünde, darauf war das Augenmerk
des Paulus bei dem Durchwandern der Stadt gerichtet.
Dementsprechend war auch das Resultat seines Betrachtens ein
ganz anderes als das der meisten Besucher. Mochten tausend
Ausländer bei dem Anblick Athens unter dem Eindruck stehen:
Welch eine herrliche Stadt!, so stand Paulus in erster Linie
unter dem Eindruck: Welch eine abgöttische Stadt! Wie
voll ist sie doch von Götzenbildern! Wie blind sind diese
Menschen doch in der wichtigsten Frage, die es gibt. Die
äußere Pracht dieses Ortes hatte ihn nicht so geblendet und
bestochen, daß er seine innere Dürftigkeit nicht durchschaut
hätte. ,,Er sah die Stadt so gar abgöttisch!"
So wie jener Knecht Gottes die Stadt Athen betrachtete, so
sieht der Herr auch unsere Städte, Dörfer und Häuser an. Er
kennt die Orte mitten in der Christenheit, die zwar keine
Götzenaltäre an den Straßen zeigen, aber dennoch unter das
Urteil fallen: ,,Er sah jenen Ort so gar abgöttisch."
2. Welche Gefühle durch den Anblick der Stadt in Paulus
erweckt wurden.
Es gibt Menschen, die es ganz kalt läßt, wenn sie um sich her
die schrecklichste Abgötterei sehen. Sie glauben, es sei
genug, wenn sie selbst nur außerhalb dieser heidnischen
Finsternis stehen (1. Mose 4, 9). Dies war nicht die
Stellung des Paulus. Ihn ließ der Anblick jener vielen
Götzenbilder nicht gleichgültig. Eine heilige Entrüstung
erfaßte sein Herz dabei. ,,Er ergrimmte im Geist".
Was sagt uns dieses Ergrimmen des Saulus in Athen? Es
beweist uns den Eifer des Apostels für die Ehre seines Gottes
und sein Interesse für das Heil der Menschen. Wenn Paulus
nicht die Sache des Herrn so voll und ganz zur seinigen
gemacht hätte, dann wäre sein Gemüt nicht in solche Wallung
geraten beim Anblick der zahlreichen Götzenaltäre. Nun aber
konnte er nicht ruhig dabei bleiben, wenn er sah, wie die
Ehre, die dem Herrn allein zukam, jenen Götzen gegeben wurde,
und wie zahllose Menschen ohne die rechte Gotteserkenntnis
dahinlebten.
Die Herzensstellung, welche sich in diesem Ergrimmen zeigt,
ist das Geheimnis einer gesegneten und fruchtbaren Arbeit
im Reiche Gottes. Sie beschämt unseren Mangel an heiligem
Eifer und unsere Lauheit beim Anblick der uns umgebenden
Sündenmacht. (Vergleiche Hesekiel 9, 4; Lukas 19, 41).
3. Das heilige Ergrimmen des Paulus darf mit dem sündlichen
Grimm unserer Natur nicht verwechselt werden.
(Jakobus 1, 19. 20; Epheser 4, 31).
Es gibt allerlei Ingrimm, der uns erfassen kann. Von manchem
Grimm gilt das Wort des sterbenden Erzvaters Jakob an seine
Söhne Simeon und Levi: ,,Verflucht sei ihr Zorn, daß er so
heftig ist, und ihr Grimm, daß er so störrisch ist" (1. Mose
49, 5 - 7; vergleiche Kap. 34).
Wenn dem David beim Empfang der abweisenden und höhnischen
Nabalsantwort die Zornesader derart schwillt, daß er alles,
was männlich ist in Nabals Haus, umbringen will, so ist das
menschliches Ergrimmen, das niemand, auch er selbst nicht,
billigen konnte. (1. Samuel 25, 21; 22, 32 - 34). Wenn
Petrus das Malchusohr abschlägt (Johannes 18, 10) und Abisai
dem fluchenden Simei gleich den Kopf abreißen will (2.
Samuel 16, 9), so beweisen diese Geschichten, daß man nicht
jedem gut gemeinten Ergrimmen gleich trauen darf, sondern
allen Grund hat, gegen das eigene Herz recht mißtrauisch
zu sein. Es gibt auch einen Kainsgrimm, der aus der Hölle
stammt (1 Mose 4, 5; 1. Johannes 3, 12). Derselbe steckt
viel tiefer in uns, als wir denken, und kann sich sogar recht
fromme Mäntelchen umhängen und als Eifer für Gott erscheinen.
Derselbe Paulus, der hier in Athen über die Abgötterei
ergrimmte, hielt es einstmals für heiligen Grimm, als er
gegen die gläubigen Christen wie ein wildes Tier ,,mit Drohen
und Morden schnaubte." Und heute noch glaubt mancher, daß es
ein heiliger Zorn sei, der ihn treibe gegen die Jünger Jesu
zu kämpfen, weil er weder die Schrift, noch sein eigenes Herz
recht erkannt hat.