Apg 16,25
A.Christlieb
Paulus im Kerker zu Philippi.
1. Die Apostel beten im Gefängnis und singen Loblieder.
Apostelgeschichte 16, 25; (Lukas 6, 22. 23; Jakobus 5, 13).
Wenn wir uns in die Lage des Paulus und Silas im Gefängnis
zu Philippi hineinversetzen, so müssen wir sagen, daß ihnen
Gedanken der Verzagtheit und Bitterkeit, Ausdrücke des Zornes
und Unwillens menschlich viel näher lagen als freudige
Loblieder.
Ein Betrachten ihrer Lage und der Entstehung derselben hätte
einen dreifachen Groll in ihren Herzen erwecken können:
1. gegen die geldgierigen, verleumderischen Besitzer
der Magd, welche durch ihre boshafte Anklage alles
Elend verursacht hatten,
2. gegen die oberflächlichen, ungerechten Richter, welche
statt sorgfältiger Untersuchung so schnell und leichtfertig
ihr Urteil gesprochen hatten,
3. gegen den diensteifrigen Kerkermeister, der, um
Anerkennung bei seinen Vorgesetzten zu finden, die Qualen
der armen Gefangenen durch das Einspannen der Füße noch erhöht
hatte.
Wer kennt nicht die Macht der grimmigen Gedanken, womit Satan
unser Herz in solchen Zeiten erfüllen und unglücklich machen
will! Statt zu grollen und zu hadern fangen Paulus und Silas
an zu beten und stimmen einen Lobgesang an. Sie sehen ihr
Leiden nicht als bittere Notwendigkeit, sondern als ein
Vorrecht an. Sie wissen, daß solche Mißhandlung um Jesu
willen keine Schande, sondern eine Ehre ist.
Das war viel Gnade, die ihren Eindruck auf andere nicht
verfehlen konnte. Dieser Lobgesang in der Nacht der Trübsal
war eine bessere Empfehlung des Evangeliums als viele
Zeugnisse in der Freiheit (Hiob 35, 10). Denn wenn die Welt
Menschen sieht, die im Leiden fröhlich sind, so sucht sie
nach einem Grund solcher Freude und wird dadurch empfänglich
für die Botschaft von dem, der allein solche Freude geben
kann.