Apg 16,19
A.Christlieb
Die Besitzer der Wahrsagerin ziehen Paulus und Silas vor Gericht.
Apostelgeschichte 16, 19; (1. Korinther 6, 1 - 8; Lukas 12, 15).
Unser Text zeigt uns die Besitzer der ehemaligen Wahrsagerin,
die im Zorn über ihre geschäftliche Benachteiligung ans
Gericht eilen, um gegen die Apostel Anzeige zu erstatten.
Wenn wir uns in die innere Stellung der zur Obrigkeit
eilenden Männer hineinversetzen, so sehen wir ein Bild, das
uns von ähnlichen Wegen abschrecken kann.
1. Die Besitzer eilen zum Gericht als geldgierige Menschen.
Gewiß gibt es Fälle, wo die Inanspruchnahme der weltlichen
Behörden gerechtfertigt ist. Aber niemals wird es sich für
einen Christen ziemen, in solcher Weise und Gesinnung einen
Mitmenschen zu verklagen, wie die Besitzer jener Magd in
Philippi es taten. Denn diese Männer eilten vor allen Dingen
deshalb zu den Richtern, weil sie sich von dem Geld so
schlecht trennen konnten, das sie bisher durch ihre
wahrsagende Sklavin erzielten. Vor Gericht gaben sie
freilich ganz andere Gründe an.
In Wahrheit aber war ihr Zorn über den Verlust der Einnahme
der Grund ihrer Anzeige. (,,Da sie sahen, daß die Hoffnung
ihres Gewinnes dahin [wörtl. ausgefahren] war", zogen sie
Paulus und Silas vor die Obersten.) Hätten diese Herren
Mitgefühl für ihre Sklavin gehabt, so hätten sie sich über
ihre Befreiung von dem schädlichen Geist freuen müssen, weil
dieselbe dadurch in einen gesunden Zustand zurückkam Aber
nicht Mitgefühl, sondern Mammonsliebe beherrschte jene
Männer.
Wenn diese Triebfeder der Geldliebe und des Hängens am Gewinn
uns zur Anzeige eines Menschen veranlassen will, so laßt uns
umkehren, über unseren Geiz Buße zu tun, und nicht andere,
sondern uns selbst anklagen.
2. Die Besitzer eilen zum Gericht als rachsüchtige Menschen.
(Römer 12, 17 - 21; Prediger 7, 9. 10; Epheser 4, 26;
Jakobus 1, 19 - 20).
Nicht nur Geldliebe, sondern auch Rachgier trieb die Besitzer
jener Wahrsagerin dazu, die Apostel zu verklagen. Sie
wollten den Mann, durch den sie sich geschädigt glaubten,
wieder schädigen. Sie wollten demjenigen etwas Unangenehmes
zufügen, durch den sie Unangenehmes erfahren hatten.
Solche Rachgier kann uns bei jenen heidnischen
Mammonsknechten nicht wundern. Aber wundern muß es uns, daß
wir im eigenen Herzen noch solche Regungen zur Rachgier
wahrnehmen müssen. Wehe uns, wenn diese Triebfeder zur
Rachsucht uns veranlassen sollte, gegen einen Mitmenschen
Klage zu erheben. Wir wären dann auf dem Wege des
Schalksknechtes, der seinem Mitknecht die Schuld nicht
erlassen wollte, obgleich ihm sein Herr zehntausend Pfund
geschenkt hatte (Matthäus 18, 32). Wir wären aber nicht in
der Nachfolge dessen, der nicht schalt, da er gescholten war
(1. Petrus 2, 23).
3. Die Besitzer eilen vor Gericht als unwahrhaftige Menschen.
(Psalm 15, 1. 3; 3. Mose 19, 16; Sprüche 20, 19; Epheser 4,
25; Sacharja 8, 16).
Die Gesinnung der Männer, die Paulus in Philippi zur Anzeige
brachten, war nicht nur eine gewinnsüchtige und rachgierige,
sondern auch eine unwahrhaftige. Denn sie haben gar nicht
die Absicht, der Obrigkeit ein sachlich richtiges Bild von
der Tätigkeit jener Zeugen zu entwerfen, sondern sie wollen
den Richtern nur eine möglichst ungünstige Meinung von den
Aposteln beibringen. Absichtlich verzerren und entstellen
sie in ihrer Anklage das Bild der Missionsarbeit des Paulus
und Silas, um eine recht harte Bestrafung derselben zu
erzielen.
Das war bei der inneren Triebfeder ihrer Anklage gar nicht
anders zu erwarten. Wenn Gewinnsucht und Rachgier jemand
zur Anklage eines Mitmenschen veranlassen, so darf man von
solchen Anklägern kaum eine gerechte und wahrheitsgetreue
Darstellung des Sachverhalts erwarten. Vielmehr zieht eine
Sünde die andere nach sich. Der Geist der Geldliebe und des
Hasses ist kein Wahrheitsgeist.
Wenn die Frage an uns herantritt, ob wir einen Mitmenschen
bei der weltlichen Behörde verklagen sollen oder nicht, so
laßt uns doch an diesem dreifachen Prüfstein unser Herz
untersuchen: 1. Machen wir nicht dem Herrn Unehre durch
Festhängen am irdischen Besitz? 2. Sind wir völlig frei von
jeder Rachsucht? 3. Haben wir die Absicht, nur die reine
Wahrheit ohne jede Übertreibung und Entstellung
auszusprechen?
Wenn wir nicht in allen drei Stücken uns von jenen Anklägern
Pauli völlig unterscheiden, dann ist gewiß unser Weg zum
Verklagen kein richtiger Weg. Sind wir aber von Geldliebe,
Rachsucht und Unwahrhaftigkeit frei, so werden wir in vielen
Fällen den Gang zum irdischen Richter nicht nötig haben.