Apg 9,20
A.Christlieb
Die erste Predigt von Saulus.
Apostelgeschichte 9, 20 - 22.
1. Zeit und Ort der Predigt.
Laßt uns im Geist in den Andachtsraum der jüdischen Gemeinde
zu Damaskus eintreten und den Worten eines jungen Zeugen
lauschen, der dort redet! Saulus ist es, der soeben zur
inneren Umkehr gelangt ist.
Nicht jedem möchte man raten, sofort nach seiner Bekehrung
öffentliche Reden zu halten. Es gibt Schriftstellen, die
davor warnen (Jakobus 3, 1). Der hier in Damaskus predigende
Saulus hat selbst später davor gewarnt, einem Neuling eine
hervorragende Stellung in der Gemeinde anzuvertrauen.
Hochmut und Fall kann gar leicht die Folge sein (1.
Timotheus 3, 6).
Scheint nicht Paulus diesem, seinem späteren Rat zu
widersprechen, indem er gleich nach seiner Bekehrung schon
öffentlich predigt?
Bei der Beantwortung dieser Frage müssen wir in Betracht
ziehen, daß Saulus damals bereits eine Stellung in der
jüdischen Kirche einnahm, die ihn zum öffentlichen Reden
berechtigte. Er war ein Rabbi (studierter Lehrer). Das,
was wir hier sehen, war kein hochmütiges Sich-vordrängen,
sondern richtige Ausnutzung des ihm zukommenden Rechtes
der öffentlichen Wortverkündigung in der Synagoge.
Saulus benutzte von Anfang an jede Gelegenheit, die ihm seine
Herkunft und seine Stellung boten, um für Jesus ein Zeugnis
abzulegen.
Auch wir wollen, wenn wir Gottes Barmherzigkeit erfahren
haben, nie das Licht unter den Scheffel stellen, sondern
in der Weise, wie es unserem Alter und unserer Stellung
entspricht, unseren Meister verherrlichen, dem wir angehören
(2. Timotheus 4, 2).
2. Der Inhalt seiner Predigt
war Christus - ,,daß derselbige Gottes Sohn sei". In diesem
mutigen Bekenntnis lag ein sehr demütiges Eingeständnis des
Predigers, daß er lange Zeit in großem Irrtum gelebt habe,
als er die Christen verfolgte. Es lag auch in seinem Zeugnis
in zarter Weise eine Anklage gegen das ganze jüdische Volk
und seine Behörde, weil dieser Jesus von ihnen verworfen
worden war. Endlich lag eine herzliche Einladung in seinen
Worten, diesen Jesus doch anzuerkennen, an ihn zu glauben
und sich ihm anzuschließen.
Der Inhalt dieser ersten uns bekannten Predigt ist in allen
seinen späteren Verkündigungen derselbe geblieben (Kap. 9,
28; 17, 3; 1. Korinther 2, 2; Galater 6, 14). Er wußte
nichts, als den zu rühmen, der ihn berufen hatte von der
Finsternis zu seinem wunderbaren Licht (1. Petrus 2, 9 b).
Der Inhalt seiner Predigt sei auch der Gegenstand unserer
Wortverkündigung.
3. Die Wirkung der ersten Predigt.
Wie gespannt sind oft junge Anfänger in der Wortverkündigung,
zu hören, wie ihre erste Predigt oder Ansprache beurteilt
wird! Wie freuen sie sich, wenn Worte der Anerkennung
fallen! Saulus bekam nach seiner ersten Predigt keine
Schmeicheleien zu hören. Die Damen der Synagoge sprechen ihm
nicht ihren Dank und ihre Anerkennung aus. Wohl aber
entstand Staunen und Entsetzen.
Es konnte nicht anders sein. Dem Saulus war ein Gerücht
vorausgegangen. Die Christen wußten über ihn Bescheid (V.
13), die anderen auch, wie unser Text beweist. Nach diesem
Gerücht mußte man von ihm eine christusfeindliche Ansprache
erwarten. Man mußte vermuten, daß er über die Sekte der
Nazarener kräftig schelten und vor derselben warnen würde.
Stattdessen bekam man das Gegenteil zu hören. Er verkündigte
Christus und empfahl die Annahme des Christentums. Welch ein
Staunen mußte da entstehen! Man verstand nicht, wie ein
Christ in so kurzer Zeit aus einem wütenden Verfolger zu
einem eifrigen und überzeugten Bekenner Jesu geworden war.
Ein begreifliches Staunen! Menschlicher Verstand reicht
nicht aus, das Wunder der Gnade an einem bekehrten Menschen
zu fassen. Ein wiedergeborener Mensch ist ein Rätsel für
die, welche Gottes Geist noch nicht haben. Die Decke Mosis,
die über den Herzen jener Zuhörer hing, hinderte das
Verständnis für jenes Wunder (2. Korinther 3, 15. 16).
Die Ausrufe des Entsetzens und Staunens wurden ohne den
Willen der Zuhörer zu einem Triumphlied der Gnade Gottes.
Was nach ihrem richtigen Urteil für Menschenkraft und
Menschenkunst völlig unmöglich war, das hatte der, bei dem
kein Ding unmöglich ist (1. Mose 18, 14; Jeremia 32, 17.
27; Sacharja 8, 6; Lukas 1, 37), an Saulus getan. Die
entsetzten und ablehnenden Zuhörer müssen das Lob Gottes
vermehren helfen.