Apostelgeschichte

Apg 9,18 A.Christlieb Ananias bei Saulus. Apostelgeschichte 9, 15 - 18 und 22, 13 - 16.

1. Der Hergang spielte sich im Verborgenen ab.

Wir treten im Geist mit Ananias in jenes Zimmer im Haus des Judas. Wir beobachten, was dort geschah. Zunächst fällt uns auf, w i e s t i l l u n d v e r b o r g e n alles dort verläuft. Wenn im weltlichen Leben eine wichtige Begegnung großer Staatsmänner stattfindet, so kommt oft eine Menge zusammen, die ihre Ankunft sehen will. Hier ist eine viel wichtigere Zusammenkunft, die Ewigkeitsbedeutung hat. Aber hier ist alles still. Kein Zeuge wird erwähnt. Ananias hat, soweit man weiß, keine anderen Glieder der Christengemeinde mitgenommen. Auch Saulus muß allein gewesen sein. Die Stunde, wo der vom Herrn zubereitete Saulus zur vollen Gnade und Heilserkenntnis hindurchdrang, war eine stille und verborgene Stunde.

Laßt uns daraus etwas lernen. Es ist nicht zu empfehlen, daß man suchende und nach Heilsgewißheit verlangende Seelen in breiter Öffentlichkeit behandelt. Je stiller und verborgener der Platz ist, da man einer Seele zurechtzuhelfen sucht, um so besser ist es. Im Sterbezimmer von Jairus Töchterlein tat Jesus sein Wunder nicht in Gegenwart der Flötenspieler, Klageweiber und Nachbarn, sondern erst, als die wehklagende Menge den Raum verlassen hatte und es still geworden war (Matthäus 9, 23 - 25). Auch bei den Wundertaten Jesu an den Seelen ist Stille angebracht.

2. Die Anrede des Ananias an Saulus war liebevoll.

Bei den Worten, die Ananias an Saulus richtet, fällt uns zunächst der T o n d e r L i e b e u n d F r e u n d - l i c h k e i t auf. Zwar steht das Wort ,,Lieber" im Grundtext nicht da. Aber Luther hat doch sinngemäß übersetzt, weil in der Anrede ,,Bruder Saul" die Liebe und Herzlichkeit sich ausdrückt, die wir mit dem Wort ,,Lieber" kundzutun pflegen.

Als Bruder konnte Ananias den Saulus anreden, nicht nur weil Saulus sein Volksgenosse war und diese Anrede bei jenem Volk vielfach gebraucht wurde (2. Mose 2, 11; 4, 18; Apostelgeschichte 7, 23; 4. Mose 20, 3; Römer 9, 3), sondern auch deshalb, weil er in Saulus einen Mitjünger dessen erkannte, der allein zu einer wahren Bruderschaft die Seinen vereinigt. Wie wohl mußte dem darniederliegenden Saulus der freundliche Ton der Ananiasworte tun! Nie wird er sie vergessen haben.

Auch heute noch tut es einer verlangenden, heilsbegierigen Seele unaussprechlich wohl, wenn ein älterer Christ ihr mit dem Ton herzlicher Bruderliebe entgegentritt (Philipper 4, 5; Jesaja 40, 2; 50, 4; 2. Chronika 30, 22 a; 1. Samuel 30, 21 c).

3. Die Anrede des Ananias an Saulus geschah in Vollmacht.

Neben der Liebe zeigen die Worte des Ananias auch eine V o l l m a c h t .

Ananias durfte in Wahrheit sagen: ,, D e r H e r r h a t m i c h g e s a n d t ". Er sagte nicht irgendwelche beliebigen Worte, die ihm gerade einfielen. Er hatte etwas Bestimmtes vom Herrn bekommen, so daß seine Worte eine Botschaft Jesu enthielten. Er stand als Gesandter des Herrn vor Saulus. Wie verlangen doch die suchenden Menschen nach einem Seelsorger, der wirklich etwas von Gott bekommen hat, und der als Bote Gottes ein Wort zu ihnen sagen kann! Zu dem seligen Pastor Engels in Nümbrecht kam ein angefochtener Mann aus dem Siegerland und legte ihm seine innere Not dar. Pastor Engels sagte zu ihm: ,,Sagen Sie getrost: ,,Herr, ich bin dein!" (Psalm 119, 94). Durch diese Antwort verschwand der Druck und die Not des angefochtenen Mannes. Warum verschwand sie? Weil der, der das Trostwort gesagt hatte, vor Gott stand und von ihm die rechte Antwort für jeden einzelnen Fall erbat (1. Petrus 4, 11 a).

Wir können zu den Menschen, mit denen wir reden müssen, nicht immer buchstäblich wie Ananias sagen: ,,Der Herr hat mich gesandt". Das wäre in gar vielen Fällen unwahr und vermessen. Aber doch dürfen wir flehen, daß Gott uns ein Wort für die Einzelnen geben möchte, das von ihm stammt (Nehemia 7, 5 a; Epheser 6, 19).

4. Die Weisheit des Ananias im Schweigen und Reden bei Saulus.

Wenn wir die Worte des Ananias nach Apostelgeschichte 9 und 22 zusammenstellen, so beobachten wir eine große Weisheit bei ihm, die sich kundtut in dem, was er sagt und was er nicht sagt.

1. Laßt uns zuerst darauf achten, daß Ananias den Saulus nicht erinnerte an seine schlimmen Verfehlungen und Christenverfolgungen. Wohl sagt er zu ihm: ,,Laß abwaschen deine Sünden", und deutete insofern auch auf das hin, was der Vergebung bedurfte. Aber er rührte nicht die alten Dinge wieder auf, die Saulus begangen hatte. Dagegen erinnerte er ihn an die Begegnung mit Jesus vor Damaskus, indem er sagte:

,,Der Herr hat mich gesandt, d e r d i r e r s c h i e - n e n i s t a u f d e m W e g , d a d u h e r k a m s t ". Mit diesen Worten rief Ananias dem Saulus jene Stunde ins Gedächtnis, in welcher der Herr ihm begegnet war. Diese Erinnerung war geeignet, Saulus Mut zum Glauben zu machen. Eine Erinnerung an seine Irrwege hätte ihn noch mehr niedergedrückt. (Psalm 43, 5; Jeremia 31, 34 b; Hebräer 8, 12).

2. Weiter laßt uns beachten, was Ananias dem Saulus über dessen Zukunft mitteilt und was er ihm verschweigt. Er teilt ihm n i c h t s m i t v o n d e n s c h w e r e n L e i d e n s w e g e n, die Saulus bevorstanden. Das konnte er um so mehr deshalb unterlassen, weil Jesus ausdrücklich gesagt hatte, er selbst werde dies dem Saulus zeigen (Kap. 9, 16). Wohl aber teilte er ihm seinen hohen, wichtigen Beruf mit, daß Gott ihn verordnet habe, seinen Willen zu erkennen und sein Zeuge zu allen Menschen zu sein (Kap. 22, 14. 15). Eine Mitteilung über seinen künftigen Leidensweg würde Saulus wohl zu sehr belastet haben in einer Stunde, wo er der Aufrichtung sehr bedurfte. Die andere Mitteilung aber von seiner hohen Bestimmung konnte ihn anspornen, mit beiden Füßen in die Nachfolge Jesu einzutreten.

3. Beachten wollen wir auch, daß Ananias nichts Unnötiges über sich selbst sagte, sondern vom ersten Wort an die Gedanken des Saulus auf den Herrn hinlenkte (,,Der Herr, der dir erschienen ist, hat mich gesandt"). Er stellt sich nicht selbst als den Helfer hin, sondern den Herrn, der ihn gesandt hatte. Rechte Seelsorger ziehen die Seelen nicht an sich selbst, sondern weisen sie von sich weg auf den Herrn. Sie schweigen gern über sich, reden aber um so lieber von ihrem Herrn und rühmen ihn allein.

Laßt uns des Ananias Weisheit für uns erbitten, daß wir in dem, was wir nicht und was wir doch sagen, Gottes Willen tun (1. Samuel 10, 15. 16; 25, 19; 1. Mose 24, 21; Nehemia 2, 12)