Apg 9,11
C.H.Spurgeon
,,Siehe, er betet."
Apg. 9, 11.
Gebete finden im Himmel die aufmerksamste und ununterbrochenste
Beachtung. Sobald Saulus von Tarsen anfing zu beten, erhörte ihn
der Herr. Hier ist Trost für die betrübte, aber betende Seele.
Oft beugt ein armer Mensch mit gebrochenem Herzen seine Kniee,
aber er vermag seine Traurigkeit nur in Seufzern und Tränen
kund zu geben; dennoch hat dies Seufzen alle himmlischen
Harfen mit lautem Jubelgetöne erfüllt; jene Träne ist von
Gott aufgehoben worden und wird von Ihm aufbewahrt in dem
Tränenbecken des himmlischen Schatzhauses. ,,Fasse meine
Tränen in Deinen Sack" (Ps. 56), das bezeugt, daß keine Träne
verloren geht, sondern daß alle der göttlichen Traurigkeit
aufgehoben werden. Der Flehende, dessen Angst seine Worte
unterdrückt, wird von dem Höchsten nicht mißverstanden. Er darf
den trüben Blick nur in die Höhe richten; schon das Fallen einer
Träne ist ein Gebet. Die Tränen sind himmlische Diamanten;
Seufzer sind Gesänge und Reigen vor Jehovahs Thron und gehören
zu den lieblichsten Melodien, die hinaufdringen zum erhabenen
Stuhl der Majestät. Du darfst nicht meinen, deine Tränen und
Gebete bleiben unbeachtet; ob sie noch so schwach und furchtsam
sind, finden sie dennoch ein geneigtes Ohr. Die Leiter des
Erzvaters Jakob reicht hoch hinauf; aber dein Gebet wird
getragen vom Bundesengel und steigt so die schwindelnden Stufen
freudig hinan. Unser Gott hört nicht nur die Gebete, sondern
Er hört sie gern. ,,Er vergißt nicht des Schreiens der Armen."
Wahrlich, Er achtet nicht auf hoffärtige Augen und glatte Worte;
Er kümmert sich nicht um die Pracht und den Pomp der Könige; Er
lauscht nicht auf das Getöse der Kriegsmusik; Er siehet nicht
auf den Stolz und Triumph der Menschen; wo aber irgend ein Herz
vom Kummer gedrückt ist, oder ein Mund vor Angst und Schmerz
bebt, wo ein tiefer Seufzer aufsteigt oder eine Bußträne
hervorbricht, da ist das Herz Jehovahs weit offen; Er schreibt
alles nieder auf die Pergamentrolle seiner Erinnerungen; Er
legt unsere Gebete wie Rosenblätter zwischen die Seiten seines
Gedenkbuches, und wenn einst dies Buch eröffnet wird, so wird
ein lieblicher Duft daraus hervordringen.
,,Laß den Mund alle Stund'
Vom Gebet und Flehen
Heilig übergehen!"
A.Christlieb
,,Siehe, er betet !"
Apostelgeschichte 9, 11 c.
Das Wort: ,, S i e h e , e r b e t e t " , hat eine
v e r u r t e i l e n d e , t r ö s t e n d e und
m a h n e n d e Seite.
1. Indem der Herr den Zustand des Saulus mit den Worten:
,,Siehe, er betet," beschreibt, b r i c h t e r ü b e r
a l l e s b i s h e r i g e v e r m e i n t l i c h e
B e t e n d e s P h a r i s ä e r s S a u l u s d e n
S t a b .
Wenn Saulus jetzt erst wirklich betet, was war dann alles
bisherige Beobachten der pharisäischen Gebetsvorschriften?
Hatte Saulus, der alle Satzungen so genau hielt, nicht schon
seit Jahren gebetet? Soll das alles nichts gewesen sein?
Wenn Saulus den Tempel besuchte und seine Gebete dort
verrichtete, so hätte mancher Volksgenosse sagen können:
,,Sieh, wie der fromme Saulus betet!" Aber in Jesu Augen
begann das wahre Beten erst jetzt. Alles frühere verdiente
den Namen Beten noch nicht.
Diese verurteilende Seite, die in dem Worte ,,Siehe, er
betet" liegt, m a h n t u n s a l l e , u n s e r
G e b e t s l e b e n z u p r ü f e n , o b e s v o r
G o t t a u c h d i e s e n N a m e n v e r d i e n t .
Wie oft bekommt ein Seelsorger die Worte zu hören: ,,Glauben
Sie etwa, ich betete nicht?" Wir wollen dies niemandem
abstreiten. Aber wir möchten jeden bitten, über den
Unterschied zwischen dem früheren und nunmehrigen Beten
des Saulus nachzusinnen und zu fragen, welcher von beiden
Gebetsarten sein Gebet gleiche. (Amos 5, 23; Jesaja 1, 15;
Matthäus 6, 7; Lukas 11, 1.)
2. Das Wort: ,,Siehe, er betet" ist nicht nur ein
verurteilendes, sondern auch e i n t r ö s t l i c h e s
W o r t , denn es erkennt das Beten des noch nicht zum
völligen Gnadenlicht hindurchgedrungenen Saulus als
wirkliches Beten an. Als Saulus in jenem Haus des Judas
in Damaskus den Herrn anrief, fehlte ihm noch der volle
Trost der Sündenvergebung. Er sah in erster Linie seine
Sünden und sein verfehltes Leben. Die Gnade in ihrer ganzen
Herrlichkeit war ihm noch nicht aufgegangen. Dennoch suchte
er das Angesicht des Herrn. W a s er gebetet haben mag,
wird uns im Text nicht gesagt. Aber eines wissen wir. Wir
wissen, daß der Herr, der all sein bisheriges häufiges Beten
nicht gelten ließ, dieses Rufen des Sünders Saulus annahm und
würdigte. Welch ein Trost liegt darin für alle, welche sich
der Vergebungsgnade noch nicht getrösten können! Dieses Wort
ruft ihnen zu: Du brauchst nicht zu warten, bis du dich des
Gnadenbesitzes rühmen und ihn schmecken darfst; du kannst als
Sünder zum Gnadenthron gehen und als Sünder Gott anflehen.
Der Herr wird dich nicht abweisen (Lukas 18, 13. 14; Psalm
102, 18; 22, 25.)
Das Wort ,,Siehe, er betet!" hat auch e i n e m a h n e n d e
S e i t e ; denn es zeigt uns, welches Gewicht der Herr bei
Beurteilung eines Menschen gerade auf wirkliches Beten legt.
Jesus hätte den inneren Zustand des Saulus auch ganz anders
beschreiben können, durch das Saulus völlig verändert war.
Aber Jesus beurteilt den Saulus weder nach dem, was er früher
gesündigt, noch nach dem, was er nachher erlebt hatte,
sondern nach dem, was er jetzt tat und trieb. Daß er jetzt
betete, war entscheidend vor dem Herrn. So beurteilt der
Herr Jesus auch uns nicht nach dem, was wir einst in unserer
Verblendungszeit gefehlt, noch nach dem, was wir an inneren
Erfahrungen erlebt haben, sondern nach dem, was wir jetzt
sind und tun. Das eine ist die Frage, ob wir jetzt wirkliche
Beter sind, denen die Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus über
alles geht. Wenn der Herr solchen Wert auf das Gebet legt,
sollten wir ihm dann nicht die gleiche Bedeutung beimessen?
(1. Timotheus 2, 1; Lukas 18, 1 - 8.)
A.Christlieb
Ein dreifacher Trost aus dem Bild des in Damaskus betenden
Saulus.
Apostelgeschichte 9, 11 c.
Das Bild des in Damaskus betenden Saulus kann dreierlei
Leuten, die in unserer Zeit zahlreich vertreten sind, zum
Trost dienen.
E r s t e r T r o s t : H i e r i s t e i n E i n s a m e r ,
d e r d o c h d e n b e s t e n V e r k e h r h a t .
Saulus war einsam. Die Menschen, mit denen er früher
denselben Weg zusammen gegangen war, verstanden ihn nicht
mehr und gingen andere Wege. Der Anschluß an die, zu denen
er jetzt innerlich gehörte, war noch nicht gefunden. Er
kannte die gläubigen Christen in Damaskus noch nicht. So
stand er einsam da. Und trotz dieser Einsamkeit war er nicht
allein. Er hatte einen Umgang und Verkehr, den die Welt
nicht kennt. In unserer Zeit gibt es viele Einsame. Aber an
diesem Verkehr dürfen sie sich erquicken.
War nicht die hochbetagte Hanna auch eine einsame Frau?
(Lukas 2, 36. 37.). Doch hatte sie einen Verkehr, der
über allen menschlichen Umgang geht. Stand nicht Joseph in
Ägypten einsam da? Aber er hatte in diesem fremden Land eine
Gemeinschaft, die ihn glückselig machte (1. Mose 39, 2).
Wie viele Frauen sind durch den Weltkrieg zu einsamen
Witwen geworden! Aber die Schrift zeigt ihnen den Weg zur
kostbarsten Gemeinschaft. (1. Timotheus 5, 5.) Gerade in
der Einsamkeit können wir den Reichtum und Segen erfahren,
der im Umgang mit dem liegt, zu dem der einsame Saulus hier
betete. (Psalm 25, 16; 102, 8.)
Z w e i t e r T r o s t : H i e r i s t e i n
A r b e i t s l o s e r , d e r d i e w i c h t i g s t e
T ä t i g k e i t a u s ü b t .
Ja, Saulus war, menschlich gesprochen, arbeitslos. Als
fleißiger, schaffender Mann hatte er in seinem Beruf manches
Jahr zugebracht. Eifrige Tätigkeit war ein besonderes
Kennzeichen seines Lebens. Die bisherige Wirksamkeit war ihm
genommen und zerschlagen. Eine andere konnte er noch nicht
beginnen. Gerade für feurige Naturen wie Saulus ist das
Herausgenommenwerden aus jeder Tätigkeit nicht leicht zu
ertragen.
T r o t z d e m w a r S a u l u s n i c h t u n t ä t i g .
Er trieb eine Arbeit, die alle andere an Wichtigkeit übertraf.
Durch sein Gebet in diesen Tagen wirkte er mehr als durch seinen
Eifer für das Gesetz in den vergangenen Jahren.
Hier ist ein Arbeitsfeld, das jedem offen steht. Viele
Arbeitsmöglichkeiten sind in unserer Zeit verschlossen. Starke
junge Männer stehen ohne Arbeit da und wissen oft nicht, wie sie
die Zeit verbringen sollen. Mancher, der auf das Krankenlager
gelegt wird, empfindet es auf das schmerzlichste, daß er seine
Arbeit nicht fortsetzen kann. Das ist zu verstehen. Wenn aber
der Segen dieser Tätigkeit, die Saulus hier trieb, erkannt wird,
so tut sich ein reiches Arbeitsfeld auf. F ü r B e t e r
g i b t e s k e i n e A r b e i t s l o s i g k e i t
u n d k e i n e v e r l o r e n e Z e i t .
War nicht dem Mose in Midian auch jede seinen Gaben und
Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit genommen? (2. Mose 3,
1). War nicht Elias am Krith auch ohne besondere äußere
Arbeit? (1. Könige 17, 3 ff.). Samuel gab mit seiner
Amtsniederlegung die gewohnte Leitung des Volkes auf. Aber
er ließ nicht nach, für sein Volk zu bitten. (1. Samuel 12,
23).
Im Licht der Ewigkeit wird einst offenbar werden, w i e
w i c h t i g d e r v e r b o r g e n e G e b e t s -
d i e n s t g e w e s e n ist (Epheser 6, 18). Ihn laßt
uns treiben, wenn andere Tätigkeit uns genommen wird.
D r i t t e r T r o s t : H i e r i s t e i n M a n n
i n D u n k e l h e i t u n d e m p f ä n g t d o c h
d i e b e s t e n L i c h t s k r ä f t e. Saulus war
durch seine Blindheit in völliger Dunkelheit. Aber durch
seinen Umgang mit Gott empfing er Licht. G o t t i s t d i e
Q u e l l e d e s L i c h t e s . W e r m i t i h m
G e m e i n s c h a f t p f l e g t , n i m m t L i c h t
i n s i c h a u f . Das tat Saulus. Menschliches Licht
hatte er in vergangenen Jahren in reichem Maße empfangen.
Jetzt gab es ein besseres. Wie anders lernte er jetzt die
verstehen, mit denen er früher nichts anzufangen wußte.
Jetzt erschien ihm der Tod des Stephanus in einem ganz neuen
Licht. Jetzt gab es auch Licht über manche Schriftstelle,
die er früher nur nach der äußeren Erkenntnisseite hin erfaßt
hatte. Jetzt wurden ihm die Augen geöffnet für die Abgründe
des eigenen Herzens und vieles andere.
Wer betet, der ist an der rechten Lichtquelle. Auch in
Zeiten innerer Verdunkelung wollen wir sie aufsuchen und
benutzen. (Psalm 51, 10; 55, 17; 57, 3; 86, 3 - 7).
A.Christlieb
Was erfahren wir aus dem Wort ,,Siehe, er betet" über Jesus?
1. Das Wort ,,Siehe, er betet" zeigt uns, d a ß J e s u s
i n s V e r b o r g e n e s c h a u t .
In den bisherigen Betrachtungen stand meist der betende
Saulus im Vordergrund. Laßt uns nun auf Jesus selbst unseren
Blick richten. Was sagt uns dieses Wort ,,Siehe, er betet"
über ihn? Das allererste, was wir hier erkennen, ist die
Tatsache, daß er durch alle Türen hindurch bis in die
verborgensten Winkel hinein schaut, was die einzelnen
Menschen treiben. Saulus war, soweit wir wissen, in jenem
Gemach in Judas' Haus unbeobachtet. Kein Mensch sah, was er
da trieb. Und doch war Ein Auge auf ihn gerichtet. Jesus
selbst sah auf ihn. Er, der den Nathanael unter dem
Feigenbaum sah (Johannes 1, 48), er, der die Gänge eines
Judas Ischarioth genau verfolgte, er, der den sieben
Gemeinden zurief: ,,Ich weiß deine Werke" (Offenbarung 2, 2.
9), er sah den Saulus beten. Was der Herr einst dem König
Hiskia sagen ließ, galt auch ihm: ,,Ich habe dein Gebet
erhört und deine Tränen g e s e h e n " (Jesaja 38, 5).
Dasselbe Auge, das jenen Saulus beten sah, schaut auch uns.
Er sieht unser Tun und Lassen. Er sieht unsere inneren
Kämpfe und unsere Schwachheit (Psalm 103, 14; Hiob 10, 9).
Laßt uns zu unserem Trost, aber auch zu unserer Warnung nie
vergessen, daß Jesus ins Verborgene schaut (Psalm 139, 1 -
12).
2. J e s u s w e i h t s e i n e K n e c h t e i n
s e i n e G e h e i m n i s s e e i n .
Mit den Worten ,,Siehe, er betet" zog der Herr einen gewissen
Vorhang vor Ananias hinweg und ließ ihn hineinblicken in ein
Geheimnis, das noch keiner der Christen in Damaskus wußte.
Zu welchem Zweck tat das der Herr? N i c h t z u r
B e f r i e d i g u n g irgendwelcher N e u g i e r ,
s o n d e r n z u r S t ä r k u n g f ü r d i e
z u e r f ü l l e n d e A u f g a b e . Ananias
kannte den Saulus bisher nur als den gefährlichsten
Christenverfolger. Bei dieser Meinung über Saulus konnte ihm
der Mut entschwinden. Der Gang wäre ihm zu schwer geworden.
Darum gab ihm der Herr so viel Licht, wie zur freudigen
Ausrichtung des ihm übertragenen Dienstes nötig war. So
handelt Gott häufig. Einem Gideon wurde Einblick in die
Mutlosigkeit und Furcht der Midianiter gewährt, damit er
selbst mutig die Aufgabe in die Hand nähme, die Gott ihm
befahl (Richter 7, 9 - 15).
Dem Hesekiel offenbarte der Herr die Unterhaltung seiner
Volksgenossen beim Gang zu seiner Wortverkündigung (Hesekiel
33, 30 - 33), ja, er enthüllte ihm alle hinter verschlossenen
Türen getriebene Abgötterei (Hesekiel 8, 7 - 18), damit er
seine prophetische Pflicht, die Warnung vor dem Abfall, fest
und getrost erfüllen könne.
Dem Paulus zeigte der Herr in jenem Nachtgesicht zu Troas das
innere Verlangen, welches im mazedonischen Volk nach dem Wort
des Lebens vorhanden sei, damit er auch mit großer Zuversicht
dorthin gehe (Apostelgeschichte 16, 9. 10). So gab er auch
hier durch das Wort ,,Siehe, er betet" das Licht, das Ananias
für seine Aufgabe brauchte.
3. J e s u s s p r i c h t m i t g r o ß e r W e i s h e i t
ü b e r i n n e r e V o r g ä n g e b e i a n d e r e n .
Laßt uns die Weisheit Jesu bei der Enthüllung des inneren
Zustandes von Saulus beachten! Durch das Wörtlein ,,Siehe"
bereitete er Ananias auf eine Überraschung vor. Er deutete
ihm an, daß es etwas Besonderes zu sehen gebe.
Ja, in der Tat gab es in jener Stunde unter allen
Sehenswürdigkeiten der Stadt Damaskus im Lichte der Ewigkeit
keine größere als den bußfertigen Mann im Haus des Judas.
Wie aber teilte er dem Ananias die wunderbare Änderung mit,
die bei Saulus eingetreten war?
Es liegt eine gewisse Vorsicht und Zurückhaltung in der Art,
wie Jesus den inneren Vorgang bei Saulus beschrieb. Saulus
stand damals mitten in der Bekehrung. Von dem bisherigen Weg
der Christenverfolgung hatte er sich abgewandt. Sein Unrecht
hatte er eingesehen. Aber zur vollen Vergebungsgnade war er
noch nicht durchgedrungen. Er stand in einem Übergang.
Gerade über solche Menschen, die erweckt sind, und sich in
einem Übergang zum neuen Glaubensleben befinden, wird oft
recht unvorsichtig und unweise geredet. Wie leicht gebraucht
man über sie einen Ausdruck, der zu viel sagt und übertreibt.
Man sagt vielleicht zu schnell: ,,Er ist bekehrt", wo bisher
nur ein Anfangssegen vorhanden ist.
Bei Mitteilungen über innere Vorgänge ist Zurückhaltung und
Vorsicht am Platz. Wohl dürfen wir andere an der Freude,
die Gottes Wirken an bisher feindlich gesinnten Menschen
bereitet, teilnehmen lassen. Doch wollen wir dabei
achthaben, daß keine Überschreitung der Wahrheitsgrenzen und
keine Übertreibung unterläuft. Jesus drückte sich behutsam
aus. Seine Art bleibt maßgebend für uns.
Als einst Pastor Engels in Nümbrecht vom Besuch eines in der
Buße stehenden höhergestellten Mannes zurückkam und seine
Hilfsprediger von ihm wissen wollten, wie es mit jenem Mann
innerlich stehe, antwortete er nur: ,,Der Herr ist am
Segnen". Mehr sagte er nicht. In dieser Antwort lag etwas
von der Weisheit Jesu, mit der er den inneren Vorgang bei
Saulus andeutet mit dem Ausdruck: ,,Siehe, er betet" (Jakobus
3, 2; Psalm 19, 13; Sprüche 10, 13 a. 20; 13, 3).
C.Eichhorn
Wann einer wirklich zu beten beginnt
Siehe, er betet! Apg. 9, 11
Er betet! Dieses Zeugnis gibt der Herr Jesus dem Saulus,
nachdem er ihn vor Damaskus gefunden und ergriffen hatte.
Zum ersten Mal in seinem Leben betet er. Aber hat er vorher
nicht auch schon viel gebetet? Ja, nach der Pharisäer Weise.
Er betete und schnaubte dabei mit Drohen und Morden gegen die
wahren Anbeter Gottes, die ihn in Jesu Namen und darum im
Geist anbeteten. Der Pharisäer im Gleichnis betete bei sich,
in der Richtung auf sich selbst. Sein Gebet ging nicht in
der Richtung nach oben, es blieb auf ihn selbst beschränkt,
er betete im Grunde sich an. Er war voll Selbstvertrauen und
Selbstvergötterung. Er suchte nicht Gott, sondern nur sich.
Alles Beten ist alsdann ein Scheingebet, das auf den Erdboden
fällt, nur ein selbstsüchtiges Gebet, weil der Mensch im
Grund nur seine Zwecke verfolgt und sich lebt.
Jetzt erst betet Paulus so, daß es wirklich gebetet ist. Er
sucht Gott und ringt danach, daß Gott in seinem Leben zu
seinem Recht kommt, daß Christus bei ihm zur Geltung gelangt.
Der Heiland hat ihn erfaßt, nun muß er ihn auch erfassen.
Sein alter Mensch widersetzt sich: "Wenn ich ein Bekenner
Jesu werde, wie stehe ich dann da? Als einer, der nicht
weiß, was er will: Heute tue ich dem Namen Jesu alles
zuwider, morgen bekenne ich ihn. Ich verscherze die Huld der
Obersten, der Hohenpriester und des Hohen Rates. Alle meine
Freunde ziehen sich von mir zurück." Solche Gedanken, die aus
dem Selbstleben stammten, stellten sich ihm entgegen. Aber
er überwand sie im Gebet. Er hielt an Tag und Nacht und
wurde erhört. Er hat sich durchgebetet an das Herz Gottes,
hineingebetet in die Gnade des Herrn Jesu. Jetzt erlebte der
Apostel, was der Psalmist einmal sagt: "Ich bin ganz Gebet"
(wörtl. Übersetzung Ps. 109, 4). Jetzt war er ganz auf den
Herrn gerichtet. Alles war unter seinen Füßen gewichen. Er
war nur auf Gott geworfen. Ihn muß er haben, ohne ihn kann
er nicht mehr sein. Jetzt ist sein Beten ein Nahen zu Gott.
Nur eine Empfindung beherrscht ihn: das Verlangen nach ihm
und seinem Leben. Jetzt schaut er ins Vaterauge Gottes,
jetzt dringen seine Gebetsworte ins Ohr und Herz Gottes.
Freude erfüllt das Vaterherz über das Flehen dieses
zerbrochenen Menschen: Siehe, er betet! Endlich hat ihn
der Herr soweit.
Von jetzt an war er ein Beter. Vorher war sein Gebet tot;
denn er war selbst tot. Dabei hat er sich auf sein Beten
viel zugute getan und damit geprunkt wie alle Pharisäer.
Jetzt konnte er selbst nicht beten, sondern nur der Geist
Jesu in ihm. Dazwischen kamen Stunden der Schwachheit, wo er
nicht wußte, was er beten sollte, und wie sich's geziemt vor
Gott. Da konnte er sich nur Seufzern überlassen, die der
Geist in ihm wirkte. - So kann sich's ändern. Ach, daß auch
uns das Zeugnis von oben ausgestellt werden könnte: Er betet,
sie betet; daß wir nicht beten, nur daß gebetet ist, sondern
daß wir in unserem Gebet wirklich und nur Gott suchten!