Joh 18,11
S.Keller
Joh. 18, 11: «Soll ich den Kelch nicht trinken, den mir
mein Vater gegeben hat?»
Das war keine Frage Jesu, die Petrus ihm beantworten helfen
sollte, sondern ein Vorwurf; er hatte ja schon längst den
Entschluß gefaßt und soeben erst den letzten Kampf darüber
mit der Angst bestanden. Es hatte sein Gehorsam gegen den
Vater über die stärksten menschlichen Triebe gesiegt. Dieser
Gehorsam soll aber nun nicht nur als ein starkes Vorbild auf
uns wirken: nein, er hat Kräfte ausgelöst, die uns angeboten
werden, wenn wir mit zitternder Hand den Kelch nehmen, den
uns Gottes Führung hinhält. Bei dem einen kann es auch eine
Leidensaufgabe sein; beim andern ein Verhältnis voller Last
und Not, das jeder andere, der nicht Gottes gehorsames Kind
ist, von sich geworfen hätte; oder aber es ist eine schwere
Arbeitsstellung, zu der uns weder Geldgewinn noch Ehrgeiz
treibt, sondern die innere Überzeugung, nur darin Gottes
Willen ganz zu tun. Wappne dich da gegen das falsche Mitleid
deiner Freunde. Er beschwört die Gefahr herauf, daß du
anfängst, Mitleid mit dir selbst zu haben und dich wegen
deiner Treue bewunderst. Dann hast du deinen Lohn dahin!
Weil ich aus Liebe sein Kind bleiben muß, und er mein Vater,
darum her mit dem Kelch. Kein Wort weiter! Wer mich darin
stören will, ist mein schlimmster Feind.
Lieber Vater im Himmel. Ich traue dir zu, daß du mir nicht
mehr auflegst als ich brauche. Stärke mich, dein schwaches
Kind, daß ich in den schweren Tagen einen Blick in dein Herz
voll Liebe tun darf. Dann geht's. Amen.