Joh 16,8
C.O.Rosenius
Wenn derselbe (der Tröster) kommt, wird Er die Welt
strafen ... um die Sünde, daß sie nicht glauben an Mich.
Joh. 16, 8 u. 9.
Beachte diese Worte ,,Um die Sünde, daß sie nicht glauben
an Mich." - Hier sehe ich etwas Merkwürdiges! Was kann das
bedeuten, daß der Herr, wenn Er hier die Sünde der ganzen
Welt erklären will, derentwegen der Geist sie strafen solle,
nur dieses erwähnt: ,,Sie glauben nicht an Mich"? Ob
Christus hier nicht offenbart, daß der Unglaube die einzige
verdammende Sünde ist, daß alle Sünden gegen die zehn Gebote
getilgt, versöhnt sind und niemanden verdammen, sofern man
sich nicht selbst durch den Unglauben in die Verdammnis
stürzt? ,,Um die Sünde, daß sie nicht glauben an Mich!"
Sehen wir das nicht auch in dem Verhalten des Heilandes gegen
die Sünder? Wenn allerlei Zöllner und Sünder, diese Hefe
alles gottlosen Volkes im Lande, zu ihm kamen, waren dann
jemals ihre Sünden ein Hindernis für ihre Begnadigung? War
nicht gleich alles gut, sobald sie zu Ihm flohen? Wo war
denn das Gesetz mit seinen Geboten und Gerichten? Wo war
ihr langes, schwarzes Schuldregister? Sie hatten ihr ganzes
Leben lang gegen Gottes Gebote gesündigt, und dennoch sehen
wir, daß, wie Paulus sagt, ,,Er ihnen ihre Sünden nicht
zurechnete". Da waren eitel Gnade, Trost und Freundlichkeit,
als ob sie ihr ganzes Leben lang auch nicht eine Sünde getan
hätten, so daß die Gesetzlichen darüber erbittert wurden und
sprachen:
,,Er ist der Zöllner und der Sünder Geselle." Und was sagt Er
selbst dazu? Er leugnet es nicht, sondern bestätigt es und
sagt, daß diese Sünder Seine verlorenen Schafe, Groschen
und Söhne seien, und daß Er der holde Vater sei, der mit
ausgestreckten Armen Seinem verlorenen Sohn entgegenläuft.
O, lieber Heiland, weißt Du denn nichts von seinen vielen und
groben Sünden? Nein, er hat keine Sünden, durchaus keine
Sünden! ,,Mein Blut wird vergossen zur Vergebung der
Sünden." - Die Sünde ist zugesiegelt, die Missetat versöhnt
und die ewige Gerechtigkeit gebracht. Gott war in Christus,
versöhnte die Welt mit Sich selbst und rechnete ihnen ihre
Sünden nicht zu. Es gibt nur eine Sünde, durch die die Welt
verdammt wird: ,,Daß sie nicht glauben an Mich!" Sehen wir
nicht auch, daß Christus die größten Gesetzeshelden
verdammte? Er leugnete nicht, daß es gut sei, daß sie keine
Ungerechte, Mörder, Ehebrecher seien oder daß sie den Armen
Almosen gäben, nichtsdestoweniger aber waren sie doch
verflucht. Hören wir nicht Paulus von vielen seiner Brüder
bezeugen, daß sie ,,um Gott eiferten und nach Gerechtigkeit
trachteten"? Aber er sagt:
,,Sie haben das Gesetz der Gerechtigkeit nicht erlangt, weil
sie es nicht aus dem Glauben, sondern als aus den Werken des
Gesetzes suchten". O, ein wundersames Urteil! Diejenigen,
die besser gewesen sind, werden verdammt, und diejenigen, die
schlechter gewesen sind, werden selig. Derjenige, der sein
Gut mit Prassen verbracht hat, erhält ein gemästetes Kalb,
und derjenige, der seinem Vater immer diente und ,,sein Gebot
nie übertreten hatte", erhält nicht einmal einen Bock. Muß
ich nicht sehen, daß hier ein großes Geheimnis verborgen
liegt? Werde ich je ganz verstehen lernen, was die
Versöhnung besagen will, und werde ich je ganz begreifen, was
durch Christi Tod geschah? Das ist das erste, was wir aus
den Worten Christi erkennen: ,,Um die Sünde, daß sie nicht
glauben an Mich", nämlich, daß alle Sünden durch den Tod
Christi so gesühnt sind, daß sie nicht mehr den Fluch des
Gesetzes zur Folge haben. Die Verdammnis ist allein Folge
des Unglaubens. Kein Mensch wird also der Sünde wegen,
sondern nur um des Unglaubens willen verdammt. Dieses ist
die tröstliche Lehre aus diesen Worten.
Zum zweiten lernen wir aus diesen Worten, daß der frömmste,
ernsteste und gottesfürchtigste Mensch verlorengehen kann,
wenn er bei all seiner Frömmigkeit nicht an Christus glaubt.
Wenn er lange in der ernstesten Bekehrungsarbeit, der
tiefsten Reue, den andächtigsten Gebeten, dem frömmsten
Wandel, der strengsten Selbstverleugnung, der
unverdrossensten Wohltätigkeit usw. gelebt hat, muß er mit
alledem trotzdem zur Hölle fahren, falls er nicht dies alles
für Schaden achtet gegen die überschwengliche Erkenntnis
Christi Jesu. Er muß in Ihm erfunden werden, in Ihm seine
Gerechtigkeit und seinen Trost haben. Alles, was im Menschen
ist, gilt nichts in den Augen Gottes, seitdem Sein geliebter
Sohn Sein Blut zur Vergebung der Sünden vergoß. Daher kommt
es, daß die Frömmsten verdammt werden, wenn sie nicht ,,dem
Sohn huldigen". Davon soll der Heilige Geist die ganze Welt
überzeugen: ,,Um die Sünde, daß sie nicht glauben an Mich!" -
Er greift dadurch die vortrefflichsten Leute auf Erden an,
wirft die frömmsten, heiligsten und ernstesten Menschen unter
die Verdammnis, nur weil sie ihre eigenen Heilande sein und
nicht dem Lamme die Ehre geben wollen.
Eine Seele geht verloren,
wie sie auch bekleidet ist,
wenn sie sich nicht Jesum Christ
zur Bekleidung auserkoren;
und ein Geist wird bloß erfunden,
ist er noch so reich und satt,
der nicht Christi Fülle hat.
Drum, hinein in Jesu Wunden.
Selig, selig, selig sind,
die zu den blutigen Wunden
des Herrn Christ geflohen sind!