Joh 16,7
S.Keller
Joh. 16, 7: «Es ist euch gut, daß ich hingehe ...»
Drei lang dauerte die wunderbare Zeit, wo Jesus in Fleisch
und Blut den Jüngern sich gezeigt hatte. Sie hatten ihn lieb
und lernten alles mögliche bei ihm, und doch konnte diese
Art der Offenbarung nicht so weitergehen. Weder erlangten
die Jünger unter dem mächtigen Einfluß seiner nahen
Persönlichkeit die Selbständigkeit, die sie für ihren
Weltberuf doch nötig hatten, noch auch ging ihnen das rechte
Verständnis für das Geheimnis seiner Person auf. Und wenn er
noch dreißig Jahre in Fleisch und Blut bei ihnen geweilt
hätte, wären sie nicht viel weiter gekommen. Die Distanz
fehlte. Erst in gewissem Abstand erkennt man die Größe eines
Berges und genießt den Segen eines Lichts. Außerdem mußte
die Offenbarung durch den Geist ihrem Geist mitteilen, Jesus
mußte in ihnen Gestalt gewinnen, statt daß außer ihnen eine
Gestalt stehen blieb, auf die sich ihre Gedanken hinwandten.
Der Schauplatz der Offenbarung wurde aus Galiläa und Judäa in
ihren eigenen Geist verlegt. - Im gewissen Sinn müssen wir
auch dergleichen durchmachen; die Offenbarungen durch Eltern,
Lehrer, Freunde, geistliche Führer, Bücher, müssen doch
zuletzt alle weichen, wenn der Geist Christi die Führung in
unserem Herzen selbst übernimmt.
Herr Jesus, du bist fortgegangen, um ewig bei den Deinen zu
bleiben. Hebe uns auch auf eine solche Stufe, daß wir dich
im Geiste recht verstehen und uns durch deinen Geist treiben
und führen lassen. Offenbare dich, wie du willst; wenn wir
dich nur mehr lieben und dich besser verstehen. Amen.
S.Keller
Joh. 16, 7: «... Es ist euch gut, daß ich hingehe...»
Bisweilen liegt im Abstand die rechte Beurteilung und die
rechte Kraft. In dem Fall, von dem unser Text handelt, ist
es zu bekannt, als daß ich darüber ein Wort zu sagen brauche:
durch Jesu Weggang ging er in den Tod und kam wieder als
Lebensfürst, und als er seine Jünger zu Himmelfahrt verließ,
kam er wieder durch die Innewohnung des Geistes. Da war es
freilich gut für sie, daß er hinging. Es kann aber auch
heute gut sein, wenn nach der ersten Glaubensstufe, wo das
selige Gefühl leicht in Fleischesbegeisterung ausartet, ein
Weggehen Jesu stattfindet. Durch den Abstand wächst das
Verständnis für das, was man an ihm hat und wie es ohne ihn
ist. Auf der zweiten Stufe ist der Glaube stärker und die
Liebe treuer; nur haben Gefühle und Stimmungen weniger zu
bedeuten. Der Gehorsam, seinen Willen tun, bekommt die
Oberhand über gerührte Andacht. Gotteskinder lernen in
dunklen Stunden, wo sie meinen, Jesus wäre fortgegangen, mehr
von seiner Kraft und Liebe kennen, als wenn alles glatt und
leicht geht. Jedesmal, wenn er in diesem Sinn weggeht,
schafft uns der Schrecken besser voran als alle süßen
Stunden. Wir lernen ihn behalten, auch wenn wir gar nichts
fühlen von seiner Macht!
Wie du uns gerade erziehen willst, Herr Jesus Christus,
das können wir dir nicht vorschreiben. Aber auf alle Fälle
stärke uns den Glauben an deinen Liebeswillen. Mögen die
Zwischenräume größer oder kleiner sein, wo wir dich nahe
fühlen - du bleibst doch bei uns und wir bei dir in Ewigkeit!
Amen.