Joh 10,11
D.Rappard
Jesus sprach: Ich bin gekommen, daß meine Schafe
das Leben . . . . haben sollen.
Joh. 10,11.
Unser Herr und Heiland gibt an verschiedenen Stellen den
Zweck seines Kommens an. Ich bin gekommen, die Sünder
zur Buße zu rufen (Luk. 5, 32). Des Menschen Sohn ist gekommen,
zu suchen und selig zu machen, was verloren ist (Luk. 19,
10). Ich bin gekommen, ein Licht, auf daß wer an mich glaubt,
nicht in der Finsternis bleibe (Joh. 12, 46). Alle diese
Wohltaten sind zusammen gefaßt in dem Wort, das wir heute vor
uns haben: Ich bin gekommen, daß sie L e b e n haben sollen.
Leben ist das Gut der Güter. Leben ist die Grundlage und
Bedingung alles übrigen. So ist es im Irdischen; so noch viel
mehr im Geistlichen. Leben muß die Seele haben, sonst hat sie
nichts als Dunkel der Finsternis in Ewigkeit.
Jesus ist das wesentliche Leben, und durch sein Kommen
hat er es der Welt gebracht. Aber er gibt es nicht gleichsam in
Bausch und Bogen. Die einzelne Seele muß sich ihm öffnen und
Leben empfangen, das heißt g l a u b e n . - O Seele, hast du
Leben? Sinne über diese Frage nach. Jesus ist gekommen, um dir
Leben zu schenken. Nimm diese kostbarste Gabe betend, glaubend,
dankend an. Wer Jesum hat, hat Leben.
O Herr, gib meiner Seele Leben
Und zieh sie ganz in Dich hinein!
Du hast Dich für sie hingegeben
In unerhörte Todespein,
Damit sie Dir zu Deinem Ruhm
Verbleib ein ew'ges Eigentum.
D.Rappard
Ich bin gekommen, daß meine Schafe das Leben und
dasselbe im Überfluß haben sollen.
Joh. 10,11.
So lautet die genaue Übersetzung dieses Heilandswortes. Wie
im Reich der Natur, so ist es auch im Reich der Gnade.
Gott kargt nicht. Er, der die Bäume mit Millionen von Blüten
schmückt und der Erde eine Fülle von treibenden Kräften
zuströmen läßt, hat auch für die Seelen der Seinen reiche
Zuflüsse seines siegreichen Lebens. A b e r s i e n e h m e n
d i e s e S t r ö m e s o o f t n i c h t a u f. - Eine
christliche Frau, über ihr Glaubensleben befragt, antwortete
seufzend: ,,Ach, ich vegetiere gerade noch. Ich bin nicht ganz
vom Heiland gelöst, aber zum freudigen Früchtetragen reicht's
nicht." Das ist ein trauriges Zeugnis. Wo mag es fehlen, wenn
es also steht?
Jene Frau, die, gottlob, wieder zu einer gesunden inneren
Erfahrung gelangte, hat es angedeutet. Die Verbindung mit dem
Herrn ist gelockert worden, und die Lebenszuflüsse dringen
nicht herzu. Die Dinge dieser Erde nehmen das Herz zu sehr ein.
Nachlässigkeit, Unglaube, Sünde verstopfen die Kanäle, und das
Leben, das der Herr im Überfluß zu geben bereit ist, findet
keinen Zugang zum Herzen seines Kindes. - Wie steht es bei mir?
Ich möchte grünen und fruchtbar sein in Deinem Garten, Herr.
Laß Deine Lebensfülle mich überströmen!
O Herr, gib meiner Seele Leben,
Durchdringe sie mit Deinem Geist,
Laß mich durchaus an nichts mehr kleben,
Was eitel ist und irdisch heißt!
D.Rappard
Ich bin gekommen, daß meine Schafe das Leben und
volle Genüge haben sollen.
Joh. 10,11.
Wir kehren noch einmal zu dem Ausspruch unseres guten
Hirten zurück und lesen die Stelle in der Fassung, wie
sie den meisten unter uns wohl am besten bekannt ist: I c h
g e b e m e i n e n S c h a f e n L e b e n u n d volle
Genüge. Welch ein großes, allumfassendes Wort! Es mahnt uns an
jenes andere: Laß dir an meiner Gnade genügen; sie i s t genug für
dich. - Wir wollen dies Wort nicht lesen als ein Gesetz, sondern
als ein süßes Evangelium.
Komm, Schäflein Christi! Bei deinem Hirten, der dir das
Leben gab, findest du auch volle Genüge. Jede Leere deines
Herzens, jede Sehnsucht deiner Seele, jedes Verlangen deines
Geistes findet in ihm volle Befriedigung.
Ein Kindlein lernte die ersten Worte des Hirtenpsalmes
lallen, und sagte sie nach seiner holden Weise: ,,Der Herr ist
mein Hirte, mir tut nichts mangeln." O ihr Gotteskinder, wollen
wir es nicht auch also sagen? Ob ich arm bin und krank, einsam
und verlassen; ob auch das Sehnen zu lieben und geliebt zu
werden mir manchmal Kampf und Herzweh kostet, ich bin dennoch
selig in meines Heilands Liebe. Möge eine neue Erfahrung dieser
vollen Genüge unser seliges Christgeschenk sein.
Gnadenreicher Herr und Meister, laß mein
Leben es bezeugen, daß Du die Deinen königlich
versorgst, und daß sie in Deiner Nähe volle
Genüge haben.