Joh 6,57
C.O.Rosenius
Wie Mich gesandt hat der lebendige Vater und Ich lebe um des
Vaters Willen, also, wer Mich ißt, derselbe wird auch leben
um Meinetwillen. Joh. 6, 57.
Das Wesentliche, ja, das Wesen überhaupt in dem neuen
Menschen, nach dem wir Christen heißen, ist dieses, daß Jesus
unseres Herzens Leben und Lebensbedürfnis geworden ist,
Christus, der Gekreuzigte, der Sündentilger, der Heiland,
der Freund vor anderen Freunden. Der Heiland ist in Seiner
Versöhnung das Notwendigste und Lieblichste für uns. Das
zeugt davon, daß wir Christen sind, daß wir vom Brote des
Lebens gegessen haben und um so mehr hungern, vom Wasser des
Lebens getrunken haben und um so mehr dürsten. Wenn ein
Christ bedenkt, was sein neues Leben vor allem auszeichnet
und das größte darin ist, so ist es dies, daß er mit dem
Heiland bekannt und vereinigt worden, daß Christus der Inhalt
seines Lebens, sein A und O, sein Erstes und Letztes geworden
ist. In seinem neuen Leben ist Jesus die Sonne, von der
alles erleuchtet und bestrahlt wird und um die sich alles
bewegt. Christus gefunden, ist seine Freude, Christus
verschwunden, ist seine Sorge, kurz: Christus ist sein Leben.
Daran erkennt man einen Christen.
Hier sind vor allem zwei Umstände zu beachten. Erstens:
Jetzt gehört es zu unserer neuen Natur, daß uns viel an
der Freundschaft Gottes gelegen ist. Wenn wir früher ganz
gleichgültig gegen Gott und Seine Gnade waren und nur
irdische Bedürfnisse und Wünsche hatten: ,,Was werden wir
essen? Was werden wir trinken?" usw., so ist jetzt unsere
immerwährende Hauptsorge diese: ,,Bin ich ein Kind Gottes?
Habe ich Gottes Freundschaft?" Es ist dies gleichsam der
Atemzug oder der Herzschlag des neuen Menschen und muß darum
deine neue Natur sein, nicht zufällige Sorge, sondern deine
dein ganzes Leben lang fortdauernde Natur, so daß es dir in
erster Linie und vor allen Dingen daran gelegen ist, Gottes
Freundschaft zu haben. Es kann sehr abwechselnd mit deinem
Trost, deinem Frieden oder deiner Kraft sein, auch kann die
Sorge um Gottes Freundschaft durch zufällige Zerstreuung
unterbrochen sein, bald aber erwachen wir darüber mit um so
größerer Besorgnis. Diese Sorge ergreift uns im allgemeinen
am tiefsten, und sie ist etwas, was besonders den neuen
Menschen auszeichnet und durchaus nicht vom Fleisch und Blut
herkommt, sondern geradezu gegen unsere Natur streitet.
Der andere Umstand ist der, daß in deiner Bekümmernis um
die Gnade Gottes nichts anderes dein Trost geworden ist als
Christus allein, Sein Versöhnungsblut und das Wort des
Evangeliums. Da hast du deinen Zufluchtsort, dein Leben,
deine Speise und dein Vergnügen. Gerade davon redet Jesus
am meisten: ,,Wer von Mir ißt" - ,,wer zu Mir kommt" -,,wer
Mein Wort hält" - ,,wer an Mich glaubt". - Es sind starke,
nachdrückliche Worte, wenn Er sagt: ,,Wer von Mir ißt - Ich
bin das Brot des Lebens, Mein Fleisch ist die rechte Speise",
,,wer von Mir ißt, der wird leben in Ewigkeit." Sie machen
deutlich, daß Er der Gläubigen Lebensbedürfnis, ihre
Lebensbedingung, ihr Alles in Allem ist.
Daß du religiös geworden bist oder daß die kirchlichen Sachen
dir am Herzen liegen, beweist noch nicht, daß du ein Christ
bist; beachte vielmehr, daß Jesus sagt: ,,Wer von Mir ißt" -
von Mir - wer in Ihm, Seiner Gnade und Seiner Versöhnung sein
Lebensbedürfnis hat. - Ebensowenig liegt irgendein Beweis
wahren Christentums darin, daß du Christus als deinen
Lehrer oder dein Vorbild verehrst, das kann der sicherste
christliche Pharisäer tun, sondern hier ist die Frage diese,
ob Er in Seinem Versöhnungstod dein täglicher Trost gegen
die Sünde geworden ist. Das allein zeichnet einen Christen
aus. Gerade das wird im Buch der Offenbarung als das
Erkennungszeichen, das die Versiegelten auszeichnete,
dargestellt. Niemand außer diesen konnte das Lied lernen,
und das Lied war: ,,Das Lamm, das erwürgt ist und uns Gott
erkauft hat mit Seinem Blut." Luther wiederholt unausgesetzt,
wenn er in seiner Erklärung über Gal. 4, 6 die Zeichen des
Innewohnens des Geistes Gottes in unserem Herzen hervorhebt
und sagt: ,,Wer gern von Christus hört, redet, denkt und
schreibt, der wisse, daß solches wahrlich nicht aus
menschlichem Willen oder Vernunft geschieht." Ja, dies ist an
dem neuen Menschen so wesentlich und bezeichnend, daß ich,
wenn ich nur dieses bei einem Menschen finde, sofort sage:
,,Der ist ein Christ", gleichwie ich, wenn ich eine
menschliche Sprache reden höre, sofort sage: ,,Das ist ein
Mensch." Hat nun ein solcher Christ einen abstoßenden Fehler
oder eine Unart, so sage ich: ,,Das ist ein Gebrechen, eine
Krankheit, aber - ein Christ ist er. Denn es ist unmöglich,
daß jemand in der genannten Weise in Christus sein
Lebensbedürfnis, seinen Trost und sein Leben haben kann, ohne
ein Freund Christi, ein Christ zu sein." So wesentlich ist
dies.
Ein Freund ist vor andern mein Heiland so gut;
Er tilgte die Sünden einst mit Seinem Blut,
Er heilt mich beständig, Er liebt und vergibet,
Wenn oftmals mein Herz Ihn leider betrübet.
Mein höchstes Bedürfnis ist drum Seine Gnad,
Sein köstliches Nahsein, Sein Leiten, Sein Rat.
Ich kann jetzt nicht leben, wenn Ihn ich nicht habe,
Ihn und Seine Freundschaft, die köstlichste Gabe.