Lk 23,41
C.Eichhorn
Das Gnadenwunder am Schächer (I)
Wir sind billig in dieser Verdammnis; denn wir empfangen,
was unsere Taten wert sind. Dieser aber hat nichts Schlechtes
getan. Luk. 23, 41
Die beiden Übeltäter, in deren Mitte Jesus gekreuzigt wurde,
sind ein Bild der ganzen Menschheit. Beide sind dem Heiland
gleich nahe, hören und sehen das gleiche. Doch nur einer
kommt zum Glauben. Der andere holt sich bei Jesus den ewigen
Fall, von dem es kein Wiederaufstehen gibt. So scheiden sich
an ihm die Herzen und die Wege der Menschen. Nichts bringt
den innerlich harten, trotzigen, auch am Verbrecherpfahl noch
immer hochmütigen Menschen zur Umkehr. Aus dem Hochmut
fließt auch sein Spott. Der Spötter fühlt sich überlegen und
erhaben über den Verspotteten. Daher prallen auch die
Zurechtweisung und das aufrichtige Schuldbekenntnis seines
Mitgenossen an seinem Herzen wirkungslos ab. Es beseelt ihn
nur ein Verlangen: aus dieser schmerzlichen Lage befreit
zu sein. Etwas Höheres kennt er nicht. Er hat viele
seinesgleichen, die nie über sich, sondern nur über ihre
traurigen Umstände betrübt sind, die keine Gnade für ihre
Sünden, sondern nur Hilfe aus der leiblichen Not begehren.
Darum sind ihre Ohren taub für das Wort vom Kreuz. - Der
bußfertige Schächer war zuerst auch so eingestellt. Er hat,
wie Matthäus berichtet, mitgespottet über Jesus. Wie gar
viele mittun, was andere tun, mitschreien, wenn andere
schreien (Apg. 19, 32), nachsagen, was ihnen andere
vorsagen: so auch er. Aber dann wurde er still und
nachdenklich. Das Gebet Jesu am Kreuz um Gnade für seine
Peiniger und noch mehr sein Benehmen, das so ganz anders war
als das Verhalten der Leute seines Schlages, machten einen
tiefen Eindruck auf ihn. Gute Worte sind Goldes wert. Doch
muß das gute Beispiel oder der Anschauungsunterricht
dazukommen. Der Schächer änderte seinen Sinn. Es ging ihm
ein Licht auf über seine Sünde. Die Not seines Gewissens
machte ihm zuletzt mehr zu schaffen als seine furchtbaren
Schmerzen. Er erkennt, daß er es nicht besser verdient hat,
und bittet um Gnade. - Man könnte meinen, das sei eigentlich
selbstverständlich bei jemandem, dessen Schuld gerichtlich
festgestellt worden war. Und doch ist's ein Wunder. Denn
gerade die gröbsten Sünder haben das geringste Sündengefühl.
Je mehr der Mensch sündigt, desto abgestumpfter wird er.
Die, welche am weitesten von Gott abgekommen sind, empfinden
den Abstand am wenigsten. Nach ihrer Meinung ist alles
andere schuld: die Menschen, die Verhältnisse, ja Gott
selbst, nur sie nicht. Mit der äußeren Verurteilung ist noch
lange nicht die innere Verurteilung im Gewissen gegeben. Sie
ist ein Werk Gottes. Es ist etwas Großes, wenn ein Mensch
mit dem Schächer sprechen lernt: "Wir empfangen, was unsere
Taten wert sind." Eine solche Beugung ohne Entschuldigung ist
nicht sehr häufig. Selbst im Kreis der Gläubigen findet man
nicht viele, die sich etwas sagen lassen und ihre Fehler
rückhaltlos eingestehen.