Lk 22,3
C.O.Rosenius
Es war aber der Satanas gefahren in den Judas, genannt
Ischariot, der da war aus der Zahl der Zwölf. Luk. 22, 3.
Was wir aus diesem erschrecklichen Ereignis vor allem lernen
sollen, ist dieses: Niemand darf sicher sein und denken:
,,Die Heuchler sind Heuchler, ein redlicher Christ aber hat
nichts zu befürchten." Das Beispiel des Judas lehrt uns etwas
anderes. Als er vom Heiland zum Jünger erwählt wurde, war er
gewiß nicht das, was er später wurde. Wie viele haben im
Geist angefangen und im Fleisch vollendet! Am Beispiel des
Judas und an jedem anderen Sündenfall erkennen wir, wie
leicht und bald es geschehen kann, daß ein Christ verloren
geht. Besonders wenn in einer bösen Stunde der Teufel dich
mit seinen listigen und starken Anläufen angreift und zu
gleicher Zeit die Begierde des Fleisches entzündet und deinen
Verstand verblendet, so daß die schrecklichsten Sünden dir
nicht mehr im geringsten gefährlich, sondern sogar lieb, ja,
notwendig erscheinen, - dann ist es bald geschehen, daß du
fällst. Beachte dies!
Zu einer solchen Versuchungsstunde gehören vor allem drei
Dinge: Die Sünde wird dir lieb und angenehm. Wenn du sie
auch noch soviel betrachtest, kannst du unmöglich finden,
daß sie gefährlich ist, sondern sie wird dir ganz gering und
unbedeutend erscheinen. Und schließlich fängst du mit etwas
ganz Geringem zu sündigen an und denkst dabei, daß ,,so wenig
ja nichts macht". So war es, als die Schlange Eva mit ihrer
Hinterlist betrog. Sie sprach: ,,Ihr werdet mitnichten
sterben; es ist ja nur, einen Apfel zu essen, und ein Apfel
ist doch nur ein Apfel. Dagegen aber werdet ihr viel
gewinnen, nämlich nicht nur den Genuß der lieblichen Frucht,
sondern auch einen vollkommenen Verstand." - Ebenso verführte
sie Judas. Er fing mit kleineren Diebereien an, und da hieß
es: ,,Ich nehme ja nur so wenig und nur dieses Mal" (für
jedesmal) und - ,,es ist kein Unrecht, daß ich etwas für
meine Mühe habe." Als der Teufel ihm dann ins Herz gab, daß
er Jesus verraten sollte, war es ja so natürlich zu denken:
,,Dreißig Silberlinge sind nicht zu verachten - und keine
Gefahr! Jesus ist erstens unschuldig und außerdem
allmächtig; es kann Sein Leben nicht kosten - indessen habe
ich einen guten Verdienst." Das hat Judas gewiß gedacht.
Wer würde ihm gesagt haben, daß er am Tage nach der Tat so
verzweifelt wäre, daß er hingehen und sich erhängen würde?
Das glaubte er nicht, sondern er dachte nur daran, wie er
sein Geld genießen könnte. Hätte er am Donnerstag, als Jesus
ihn warnte, das geglaubt, was er am Tage danach erfuhr, dann
wäre er gewiß vor dem Handel wie vor der Hölle zurückgebebt.
Ein jeder bedenke dies beizeiten und lerne die rechte Art
der Sünde und des Teufels zu verstehen. Wenn du nämlich der
Sünde und der Heuchelei nur in einem Fall und bei einer
Gelegenheit Raum gibst, wirst du bald so verblendet,
bezaubert und verstrickt werden, daß du nicht zu sehen und
auch nicht die geringste Gefahr zu befürchten vermagst, und
so wirst du allmählich Schritt für Schritt in dein äußerstes
Verderben gehen. Ja, besonders: in einer solchen bösen,
satanischen Bezauberungsstunde wirst du, wenn du die Sünde,
zu der du versucht wirst, auf das gründlichste erwägen und
betrachten willst, unmöglich etwas anderes sehen können, als
daß sie gar nicht gefährlich, sondern gering und leicht wie
eine Feder erscheint. Zu gleicher Zeit wird sie dir aber
auch unendlich lieb und angenehm erscheinen. Dies sind die
rechten Farben der Sünde in der Stunde der Versuchung, sowie
auch die rechten Zeichen dafür, daß du in diesem Augenblick
in einer Versuchung bist oder in einer Probe stehst, in
der über das Wohl oder Wehe deiner unsterblichen Seele
entschieden wird. Denn beginnst du jetzt zu heucheln und
der Sünde zu folgen oder sie zu verbergen, dann ist es aus
mit dir.
Die Heuchelei ist der güldene Schleier der Sünde und des
Teufels, ohne den sie nichts ausrichten. Wahrlich, entferne
die Heuchelei, und du wirst nie in einer Sünde verbleiben
oder darin weiter leben können, sondern immer aus derselben
aufstehen und errettet werden. Hätte Judas bekannt, was ihm
der Teufel einflößte - wenn es auch nur vor einem der Jünger
geschehen wäre -, dann wäre der Teufel sofort entwaffnet
gewesen, und Judas wäre nicht länger in der Sünde verblieben.
Dies ist ein Mittel, das schwer versuchte Christen zu allen
Zeiten mit großem Segen gegen den Teufel angewandt haben.
Darum gilt gerade hier die Ermahnung des Apostels: ,,Bekenne
einer dem andern seine Sünden und betet füreinander, daß ihr
geheilt werdet."
Alles dieses aber glaubt und bedenkt man selten recht, bevor
man es nicht aus eigener trauriger Erfahrung gelernt hat,
und dann ist es oft zu spät. Und was ist es, das man nicht
glaubt? Es ist folgendes: In der Stunde der Versuchung ist
man einer wirklichen Verblendung und Bezauberung unterworfen,
so daß man sicher, ruhig und dreist wird und zu sehen wähnt,
daß gar keine Gefahr vorhanden ist, während doch Leben und
Seele auf dem Spiel stehen. Und wenn jemand das vorher auch
glaubt, so erscheint ihm die Sünde in der Versuchungsstunde
doch nicht gefährlich.
Hier sollte man doch billigerweise in Furcht geraten und mit
den Jüngern fragen: ,,Wer kann dann selig werden?" Jesus
antwortete darauf: ,,Was bei den Menschen unmöglich ist,
das ist bei Gott möglich." Solange wir in dieser Furcht und
in diesem Trost verbleiben, können wir nie verlorengehen,
sondern werden stets in der Hand Gottes sein. Er ist ein
treuer Helfer und Hirte und sagt selbst: ,,Niemand wird sie
Mir aus Meiner Hand reißen."
O Jesu, Du Hirte der gläubigen Herden,
Ach hilf doch, daß wir Dir nicht abtrünnig werden;
Du wolltest uns täglich im Glauben erneuen,
Hilf, daß wir die Sicherheit ewiglich scheuen.