Lk 15,28
C.Eichhorn
Der selbstgerechte Sohn schließt sich von der Liebe
des Vaters aus
Der älteste Sohn ward zornig und wollte nicht hineingehen.
Luk. 15, 28
Er hörte den Gesang und den Reigen. Klingt es doch wie ein
Lied: "Dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig
geworden. Er war verloren und ist gefunden worden." Es ist
ein Triumphlied der Liebe mit dichterischem Schwung. Der
Erstgeborene war schon verstimmt, weil dieses Fest in seiner
Abwesenheit gehalten wurde. Einer der Sklaven goß Öl in das
böse Feuer des Unwillens. Er ist das Bild eines niedrig
gesinnten Menschen, der aufreizt und hetzt, anstatt zu
beschwichtigen. Es klingt hämisch, wenn er sagt: "Dein Vater
hat ein gemästetes Kalb geschlachtet, daß er ihn gesund
wieder hat." Da entbrannte sein Zorn. - Der Erstgeborene
bringt einen großen Mißton in die schöne Feier. Wir kennen
solche Mißtöne. Als der Heiland sich der Sünder und Zöllner
erbarmungsvoll annahm, murrten die Pharisäer. Als die tief
gefallene Sünderin zu den Füßen Jesu in Tränen zerfloß, hielt
sich Simon, der Pharisäer, darüber auf, daß Jesus sich mit
einem solchen Weib abgebe. Als Maria zu Jesu Füßen saß,
versunken in seine Rede, bringt Martha eine Störung hinein.
(Siehe auch Luk. 19, 7; Matth. 21, 15f.) - Der erstgeborene
Sohn ist scheinbar ganz nahe beim Vater und doch fern von
seinem Herzen. Er dient ihm Jahr um Jahr, hält sich
musterhaft, übertritt sein Gebot nicht. Und doch hat er
kein Herzensverhältnis zu seinem Vater. Bei der Rückkehr
des Bruders kommt es heraus, wie sein Sinn dem des Vaters
eigentlich fern und fremd ist. Ihm fehlt die Liebe. Da ist
keine Spur von Freude über die Rückkehr seines verirrten
Bruders. Er gibt dem Vater harte Worte, macht ihm bittere
Vorwürfe. - Dieser Erstgeborene war voll von sich und darum
leer von Liebe. Die eigene Person stand bei ihm im
Mittelpunkt. Darum fühlte er sich auch gleich zurückgesetzt.
Unmut und Neid kommen aus der Ichsucht. Alle, die in sich
verliebt sind, zeigen sich sehr reizbar. Sie sind gleich
verstimmt und verärgert. Wird jemand geliebt und geehrt,
kommt ihnen sofort der Gedanke: "Ich muß eben immer
zurückstehen! Aus mir macht man sich nichts!" So wollte er
den Bruder gar nicht einmal sehen. - Dieser Älteste war
voller Ansprüche. Er diente seinem Vater nicht aus Liebe
und Dankbarkeit, sondern mit dem Gedanken: Er darf froh
um mich sein. Eigentlich schätzt er mich nicht genug,
sonst hätte er mir schon längst seine Anerkennung
gezeigt und die wohlverdiente Belohnung zuteil werden
lassen. Selbstgerechte, ungebeugte Menschen sind höchst
anspruchsvoll. Die Wohltaten, die sie von Gott genießen,
sehen sie für nichts an. Wenn aber Gott ihnen irgendwie
etwas schickt, was ihnen unangenehm ist, sind sie gleich mit
der Frage da: "Warum muß mir das begegnen? Ich habe stets so
fleißig gebetet und keinen Gottesdienst versäumt, und jetzt
geht mir's so!" Da zeigt sich die innere Kälte, ja
Feindschaft gegen Gott. Wie anders ist's, wenn das Herz
durch die Gnade gebeugt ist!
J.Kroeker
Vom neuen Menschen.
"Da ward er zornig und wollte nicht hineingehen. Da
ging sein Vater hinaus und nötigte ihn." Luk. 15,28 f.
Das Leben mit seiner Versuchung und Härte sorgt dafür, dass
wir, gelöst von Gott und von seiner Tischgemeinschaft, eines
Tages auch in unserer Geschichte neu enden an irgendeinem
Trebertrog. Wir mögen diesen Trebertrog nennen, wie wir
wollen. Er bleibt das Ergebnis unseres Ringens ohne Gott.
Denn unsere Unabhängigkeit von Gott führte uns noch immer
in die Abhängigkeit von der Welt. Ging uns erst die
Tischgemeinschaft mit dem Vater im Vaterhaus verloren, dann
endeten wir in der Gemeinschaft derer, die uns unsere
heiligsten Güter raubten. Das Leben, das sie mit uns
teilten, ließ uns bettelarm werden. Je ärmer wir jedoch an
Leib und Seele wurden, desto abhängiger wurde unser Leben von
der Vergänglichkeit und ihren Gütern. Die Welt lohnte unsere
Hingabe und unseren Dienst noch immer mit jenen Trebern,
die nie den letzten, tiefsten Hunger unserer Seele stillen
können. Es liegt im Wesen aller Schätze, die die Welt in
ihrer Vergänglichkeit darreicht, dass sie zuletzt dem
Menschen zum Ekel werden müssen. Der Mensch zerbricht
eines Tages an dem Genussleben, das die Welt ihm bietet.
Nicht aber nur der Jüngste war ein verlorener Sohn. Auch der
Älteste war es, obgleich er im Vaterhaus geblieben war. Er,
der in seinem Leben aufgegangen war im Dienst seines Vaters,
seine Zeit und seine Kraft dem Aufbau der Ökonomie seines
Vaters gewidmet hatte. Auch er wurde eines Tages ein
verlorener Sohn, weil er sich zurückzog aus der
Tischgemeinschaft mit dem Vater.
Die Veranlassung war die Heimkehr des verlorenen Bruders und
dessen Wiederaufnahme als Sohn im Vaterhaus. Denn als sein
Bruder zurückkam, von seinem Vater den Kuss der Vergebung
empfing und auf Grund der Vergebung in die ihm verloren
gegangene Sohneswürde wieder eingeführt wurde, da herrschte
Freude im Vaterhaus. Es war jene Freude, von der Jesus
spricht: "Also wird Freude sein im Himmel über einen Sünder,
der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der
Buße nicht bedürfen." Dieses Große im Vaterhaus wurde ihm zum
Anstoß, über den er fiel. Anstatt sich mitzufreuen über die
innere Größe seines Vaters, der auch den Verlorenen nicht
verloren hatte als Sohn, zog er sich zurück von der
Tischgemeinschaft im Vaterhaus. Er hatte schon vordem
das Bruderverhältnis verloren zu dem, der seine Güter in
der Fremde vergeudete. Nun fand er auch das richtige
Bruderverhältnis nicht wieder zu dem, der von seinem Vater
auf Grund der Vergebung in seine verlorene Sohneswürde wieder
eingeführt wurde.