Lukas

Lk 15,12 C.Eichhorn Verloren und gerettet (I) Gib mir, Vater, das Teil der Güter, das mir gehört! Luk. 15, 12

Haben wir wohl schon beachtet, wo der Punkt ist, da der verlorene Sohn auf die abschüssige Bahn geriet? Man übersieht ihn leicht. Sein trauriger Niedergang nahm seinen Anfang, als ihm der Gedanke kam, sich selbständig zu machen und sich der Kontrolle des Vaters zu entziehen. Er wollte nicht mehr sich alles vom Vater geben und von ihm seinen Weg sich vorzeichnen lassen. Er löste sich dadurch innerlich vom Vater. In solchem Freiheitsbegehren liegt schon ein verborgener Abfall. Sieh dagegen den Herrn Jesus an! Er konnte und wollte keinen Schritt ohne den Vater tun. Er redete kein Wort, das ihm der Vater nicht schenkte, und tat nichts, was ihm der Vater nicht zeigte (Joh.5, 19.20). Er stand in völliger Abhängigkeit von Gott. Es gehört zum Wesen der Sünde, daß man nicht abhängig von Gott, sondern selber Herr sein will. Man will auf eigene Faust wirtschaften. Die Gaben und Kräfte, die Gott verliehen hat, all die Güter, die wir ihm verdanken, eignet sich der Sünder selbst zu. Es gehört alles ihm, und er will darüber verfügen, anstatt nur Haushalter zu sein unter der steten Aufsicht seines Gottes. Dieser Selbständigkeitstrieb macht sich besonders in der Jugend aufs stärkste geltend. Man verübt nicht sofort offenbare Schlechtigkeiten. Aber man handelt nach dem eigenen Sinn und Willen. Und weil das Menschenherz böse ist, steigen auch finstere Gedanken auf, und böser Rat und Wille kommt zur Ausführung. Es geht stufenweise abwärts. Zuerst keimt das schlimme Begehren im Herzen, dann spricht sich's aus in Worten, dann geht's weiter zur Tat: Der verlorene Sohn sammelte alles und verließ das Vaterhaus, er entzog sich der lästigen Aufsicht. Er gab sich dann einem zügellosen Leben hin, verpraßte alles und geriet in Ausschweifungen und Laster. So vergeuden wir die edlen Kräfte des Leibes und der Seele in schnödem Sündendienst. Wie wunderbar ist die Korrektur, die Gott dem verirrten Menschen angedeihen läßt! Der verlorene Sohn wollte nicht abhängig sein vom Vater, der ihn doch liebte und nur sein Bestes im Auge hatte. Nun wurde er abhängig von einem wildfremden, lieblosen Menschen, der ihm nicht einmal die Treber gönnte, welche die Säue aßen. "Er hing sich an ihn." Er mußte bitten und betteln um die elendeste Unterkunft und niedrigste Arbeit. Zuvor führte er dem verwöhnten Gaumen auserwählte Leckerbissen zu; jetzt war er froh, wenn er sich nur den Bauch füllen konnte mit Speise, vor der ihm sonst geekelt hätte. Vorher konnte er nicht genug der Geselligkeit und Zerstreuung sich hingeben; jetzt war er in tiefe und traurige Einsamkeit versetzt. - Es war dies gerechte Vergeltung und zugleich heilsame Zucht. Sein früheres lockeres Leben hielt er für Glück, und es war doch sein Unglück. Die Lage, in die er nun geriet, hat er zunächst als ein großes Unglück empfunden, und sie war doch die Anbahnung großen Glücks.





J.Kroeker Vom neuen Menschen.

"Der Jüngere sprach zum Vater: ,Gib mir, Vater, den Teil der Güter, der mir gehört!' Und er teilte ihnen ihr Gut." Luk. 15,12.

Gottes Barmherzigkeit wartet auf die Heimkehr des Sohnes, weil der Sohn seinen Vater verloren hat. Ob es der jüngste, ob es der älteste in dem inhaltsvollen Gleichnis Jesu ist, der Vater hat für seinen Umgang den Sohn verloren, weil der Sohn in der Ferne den Vater verloren hat.

Denn der Mensch ist Sohn Gottes. Er war von seiner Schöpfung her immer unendlich mehr, als nur Geschöpf. Er trug von Anfang an das Ebenbild seines Vaters. Als Gott im Uranfang sein ganzes Schöpfungswerk in sechs Tagen vollendet hatte, da stand es vor Ihm als eine Fülle seiner Herrlichkeit. Als Er jedoch in dieser seiner Schöpfung nach einem Bild und Gleichnis suchte, nach welchem Er den Menschen schaffen könne, da fand Er dieses nicht in etwas bisher Geschaffenem. Das Bild und Gleichnis für den Menschen fand Er nur in sich selbst, dem Schaffenden.

So ist seit seinem Ursprung der Mensch ein Ebenbild seines Vaters. Dieses Ebenbild des Schöpfers trägt kein anderes Geschöpf weder im Himmel, noch auf der Erde, noch unter der Erde. Nur der Mensch ist jenes Geschöpf, das der Vater der Barmherzigkeit im Uranfang schuf nach seinem Bilde.

Es kam aber jener Tag, wie Jesus das in dem schlichten Gleichnis vom ältesten und vom jüngsten Sohn dargestellt hat, wo der Sohn unabhängig sein wollte von seinem Vater. Er trat zu ihm und bat um das Erbe, das ihm gehörte. Als nun der Vater ihm sein Erbe übergab, entzog er sich der weiteren Abhängigkeit von seinem Vater. So wurde der jüngste Sohn in dieser seiner Unabhängigkeit von seinem Vater zu einem verlorenen Sohn.

Was aus ihm wurde in dieser Unabhängigkeit, das wissen wir. In der eignen Verwaltung seines Erbes zerrannen sehr bald seine Güter, und er stand in seinem Leben so bettelarm da, dass er hungerte. Alles Empfangene zerrann unter seinen Händen. Er selbst endete in der Knechtschaft eines ihm völlig Fremden. Die Mittel jedoch, die ihm vom Fremden zur Erhaltung seines Lebens wurden, reichten nicht aus, seinen Hunger zu stillen.

Vielleicht bestreiten wir dieses Bild in unserem Leben. Vielleicht bestreiten wir es auch in der Geschichte unseres Volkes und der Völker. Wir versuchen vielleicht, es wegzuleugnen aus dem Weltgeschehen. Wir glauben vielleicht, eine andere Lösung für unser Versagen und unsere Knechtschaft gefunden zu haben. Wir suchen uns vielleicht bewusst über den anstößigen Begriff "Sünde" hinwegzusetzen und streichen das Wort aus der Geschichte unsres Lebens. Wer nicht an den verlorenen Sohn glaubt, der wird eines Tages auf Grund seines persönlichen Falles an den verlorenen Sohn glauben lernen.