Lk 6,36
S.Keller
Luk. 6, 36: «Darum seid barmherzig, wie auch euer Vater
barmherzig ist.»
Ist es nicht auffallend, daß Weltmenschen, wenn sie solche
Ermahnungen hören, ihrem Beifall unverhohlenen Ausdruck
geben? Läßt man sich in eine Unterhaltung mit ihnen ein,
merkt man bald, woran das liegt. Solche sittliche
Ermahnungen scheinen kein Dogma, keinen Wunderglauben, kein
Gebetsleben vorauszusetzen; außerdem denkt der Weltmensch nur
daran, wie angenehm es für ihn wäre, wenn die andern ihn nach
Christi Vorschriften behandelten; daß er selbst zuerst sich
danach richten müßte, liegt ihm fern. Und hier liegt der
Schlüssel begraben. Wer eine einzige solche Vorschrift in
eigener Kraft verwirklichen will, wird inne, daß er das nicht
kann. Die tiefe Erkenntnis unseres Unvermögens ist der Weg
zum Heiland, der uns von unserer Sünde scheiden und mit
Liebeskraft aus der Höhe erfüllen will. An ihm erleben wir
erst die ganze Tiefe und Herrlichkeit der Barmherzigkeit
Gottes. Sonst könnten wir es ja gar nicht wissen, w i e
barmherzig der Vater ist! Seit wir aber Jesum kennengelernt
haben, und in ihm des Vaters Barmherzigkeit uns überwunden
hat, so daß uns alle Waffen der Unbarmherzigkeit aus den
Händen fielen, kann er uns auf seinen Pfaden weiterführen.
Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit
erlangen.
Vater im Himmel, wir danken dir für alles, was du aus
Barmherzigkeit an uns getan! Nun stärke in uns deine Art,
deine Barmherzigkeit mit unsern Brüdern, damit sie an uns
etwas von dir erkennen können. Amen.