Lk 3,7
C.Eichhorn
Eine schade Rüge aus wohlmeinendem Herzen
Ihr Otterngezüchte, wer hat denn euch gewiesen, daß ihr
dem zukünftigen Zorn entrinnen werdet? Luk. 3, 7
Überaus scharf, ja abstoßend klingen die Worte des Täufers.
Ist das Liebe? Nicht schmeichlerische Liebe, die den Leuten
nach dem Sinn und nach dem Mund redet. Es ist die Lebe, die
einen, der im Begriff ist, in den Abgrund zu stürzen, packt
und unsanft wegreißt. Es ist die Liebe der Wahrheit. Die
Wahrheit wird in der Bibel mit dem Salz verglichen. Das Salz
brennt, wenn es auf eine wunde Stelle kommt. Die Wahrheit
hat eine scharf geschliffene Spitze aus dem Mund
unbestechlicher Zeugen. - Es war kein Schimpfwort, wenn
Johannes die Pharisäer, also die Frommen in seinem Volk,
Otterngezüchte nennt. Es war einfach der Ausdruck der
tatsächlichen Wirklichkeit. Die giftige Otter ist dem
äußeren Anblick nach ein kleines, unscheinbares, harmloses
Geschöpf. Aber sie hat einen Giftzahn, der einen Tropfen der
tödlichen Flüssigkeit in die Wunde träufeln läßt. Das hat
sich bei den Pharisäern, Schriftgelehrten, Priestern und
Hohenpriestern nur zu sehr bestätigt. Sie, die geistlichen
Führer und vermeintlichen Vorbilder der Frömmigkeit, waren
von einem wahrhaft satanischen Haß gegen den Herrn Jesus
erfüllt. Sie ruhten nicht, bis sie ihn in den Tod gebracht
hatten. Die äußerlich Frommen, die sich nicht wirklich
bekehren wollen, sind schlimmer als ausgesprochene
Weltmenschen. Sie sind bitterböse. Dies sieht man an Judas,
dem Verräter. - Die frommen Leute zur Zeit des Täufers
fühlten sich so sicher, daß man hätte denken können, sie
hätten den Weg gefunden, der vor dem künftigen Gericht
bewahrt. "Wer hat euch den Weg gezeigt?" fragt Johannes.
Niemand! Und doch beschleicht sie nicht die geringste Sorge
um die Zukunft. So verblendet ist der Mensch, solange er
noch unbekehrt ist. Die Frommen, die sich wirklich bekehrt
haben und zu einer gründlichen Herzenserneuerung gelangt
sind, sind ihrer Sache oft nicht so sicher wie die
Unbekehrten. Manchmal ergreift sie die Sorge, ob sie wohl
auch vor dem künftigen Gericht bestehen werden. Der
unbußfertige Mensch geht so ruhig seinen Weg dahin, als ob
ihm der Himmel sicher wäre. - Johannes hat diesen sicheren
Leuten das furchtbare Schicksal, das ihrer wartet, mit dürren
Worten vor Augen gestellt. Es ist der zukünftige Zorn, das
Feuer des göttlichen Gerichts. Zugleich hat er ihnen alle
Trostgründe, mit denen sich der unbekehrte Mensch gern
beruhigt, hinweggenommen. "Wir sind ja keine Heiden! Wir
gehören zu dem auserwählten Volk!" Wohl stammten sie von
Abraham ab. Aber sie waren nicht Kinder seines Geistes,
seines Glaubens. Sie meinten, sie seien für Gott sozusagen
unentbehrlich. Aber Gott kann aus Steinen echte und wahre
Kinder Abrahams erwecken.
- Die wahren Freunde sind nicht die, welche uns angenehm und
wohltuend berühren. Es sind die, die uns im Augenblick
wehtun und uns schmerzliche Stiche versetzen. Sie bewahren
uns, daß wir nicht dem ewigen Tod verfallen.