Mk 16,3
A.Christlieb
Der abgewälzte Stein
Markus 16, 3 f.
»Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von
des Grabes Tür? Und sie sahen dahin und wurden gewahr, daß
der Stein abgewälzt war.«
1. Der Stein - das Bild einer drückenden Arbeitslast
Wir können den Stein, der das Grab Jesu verschloß, von
verschiedenen Seiten her ansehen. Zunächst ist er das Bild
einer großen schweren Arbeitslast. Die Frauen, die am
Ostermorgen zum Grab gingen, dachten mit großer Besorgnis an
das große Gewicht dieses Felsblockes, der nur durch starke
Männer fortbewegt werden konnte. Sie blickten dann auf ihre
geringe Körperkraft, die solcher Arbeit nicht gewachsen war.
Der Gedanke an diese ihre Kräfte übersteigende Arbeit drückte
sie nieder.
So kann es auch bei uns gehen. Der Blick auf manche vor uns
liegende Aufgabe, der wir uns nicht gewachsen fühlen, will
sich wie eine Zentnerlast auf uns legen. Da steigt aus dem
Herzen die Frage empor: »Wer wälzt uns den Stein von des
Grabes Tür?«
Der Ostermorgen ruft uns zu: Keine Sorge um Lasten in Arbeit
und Dienst soll uns mehr niederdrücken. Der, welcher durch
seine Auferstehung für jene Frauen die Frage der Beseitigung
des mächtigen Felsblockes erledigte, lebt heute noch und wird
auch mit unsern »Felsblöcken« fertig. Wir haben seine
Verheißung:
»Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig« (2. Kor. 12, 9).
Sein Wort ruft uns zu: »Alle eure Sorge werfet auf ihn; denn
er sorgt für euch« (1. Petr. 5, 7).
2. Der Stein - das Bild einer Scheidewand
Nicht nur eine Arbeitslast war dieser Felsblock, sondern auch
eine Scheidewand, die von Jesus trennte. Zwischen dem Leibe
Jesu, der gesalbt werden sollte, und diesen drei Frauen lag
der Stein als Hindernis. Um dieses Steines willen konnten
sie nicht zum Heiland gelangen.
Ist diese ihre Verlegenheit nicht gleichnishaft für eine
Sorge, die auf manchen Gemütern liegt? Manche Menschen
möchten zu Jesus kommen, nicht um seinen Leichnam zu salben,
sondern um mit ihm eine lebendige Beziehung des Vertrauens zu
gewinnen. Aber da liegt auch eine Mauer zwischen dem Herrn
und ihnen. Nicht nur ein Felsblock, sondern ein ganzer Berg
von vergangenen Schulden und Sünden trennt sie von seiner
Nähe. Da liegt ihr Stein, den sie nicht weg wälzen können.
Solchen ruft unser Vers zu: Auch dieses Hindernis ist
beseitigt. Am Ostermorgen ist alles hinweggetan, was
suchende Menschen von Jesus trennt.
Die Auferstehung bestätigt, daß das am Karfreitag für unsere
Schuld dargebrachte Opfer Jesu von dem ewigen Gott angenommen
worden ist. Die Scheidewand, die uns von Gott trennte, ist
niedergerissen (Kol. 2, 13 f.; Eph. 2, 14-19). Es freue
sich das Herz derer, die den Herrn suchen!
3. Der Stein - ein Bild des Sieges der Feinde
Der Stein auf dem Grab Jesu war feierlich von der Obrigkeit
versiegelt worden. Er erschien wie eine Bestätigung und
unabänderliche Festsetzung des Sieges der Feinde Jesu. Alle
ihre Bemühungen, alle ihre längst vorbereiteten Pläne liefen
auf die Stunde hinaus, wo Pilatus sein Vollmachtszeichen, das
Siegel, auf den Stein vor Jesu Grab drücken ließ. Ihre Macht
und Klugheit schien triumphiert zu haben. Mit Jesus im Grabe
schien auch seine Sache für immer erledigt zu sein. Niemand
konnte mehr die Macht der Gegner und ihren Einfluß im Volk
stören.
Wenn wir den abgewälzten Stein von dieser Seite ansehen, so
liegt in seinem Anblick wiederum ein mächtiger Trost. Wie
schnell ist doch der Herr am Ostermorgen mit allen
Machenschaften seiner Feinde fertig geworden! Wie brach
deren überheblich zur Schau getragene Siegesgewißheit
zusammen vor der göttlichen Macht, die Jesus aus dem Grabe
führte! Wenn heute unter uns ein ängstliches Jüngerherz in
Gefahr steht, durch den Blick auf die List und Macht der
Feinde Jesu verzagt zu werden, so darf es auf den fort
gewälzten versiegelten Stein blicken. Da empfängt es neuen
Mut. Der entfernte Stein entlarvt allen Sieg der Welt als
einen Scheinsieg. Es gilt und wird immer gelten:
»Der im Himmel wohnt, lachet ihrer, und der Herr spottet
ihrer« (Ps. 2, 4). Wir dürfen einstimmen in das österliche
Siegeslied:
»Die Rechte des Herrn ist erhöht, die Rechte des Herrn behält
den Sieg!« (Ps. 118, 16).
D.Rappard
Wer wälzet uns den Stein von des Grabes Tür?
Sie wurden gewahr, daß der Stein schon abgewälzt
war.
Mark. 16,3.4.
Wie lichtvoll ist der Vorgang geschildert, dem unser Wort
entnommen ist! Wir erleben mit den treuen Jüngerinnen
die tiefe Trauer, die leise, mehr äußerliche Sorge wegen des
Steins, dann die große Überraschung und die herrliche Freude.
Oft tritt im Christenlauf etwas ein, was diesem Erlebnis
ähnlich ist.
Eine Seele sucht das Heil, findet aber den rechten Weg
nicht. Sie möchte vorher etwas fühlen und meint, es liege ein
,,großer Stein" zwischen ihr und ihrem Herrn. Doch er hat ja
selbst durch sein Kreuz alle Hindernisse hinweggetan. Sie wagt
den Glaubensschritt, und siehe da! Es ist kein verrammeltes Tor,
sondern ein freier Zugang zum Heilandsherzen.
Oft führt Gott seine Kinder auf verschlungenen Pfaden,
wo sie plötzlich keinen Ausweg mehr sehen. Doch getrost! Bleiben
sie nur still an Jesu Hand, so finden sie immer wieder gebahnte
Wege.
Oft meint man auch von ferne einen Stein zu sehen und
erschrickt. Doch kommt man näher herzu, siehe! so ist er nimmer
da. Und in der Arbeit für den Herrn, wenn oft gewaltige
Hindernisse im Wege stehen, darf der Beter es erfahren, daß
Gottes Geist selbst den ,,großen Stein" hinwegwälzt durch
seine Lebensmacht.
Wer wälzt den schweren Stein von hier?
Wer öffnet mir des Grabes Tür?
Wer gibt den Sieg in Kampf und Streit?
Wer bahnt den Weg zur Herrlichkeit?
Du bist's, o Gottes Sohn, allein! Die Ehr' sei Dein!