Mk 10,17
C.Eichhorn
Ein noch unklarer Gottsucher
Und es lief einer herzu, kniete vor ihn und sprach: Guter
Meister, was muß ich tun, daß ich das ewige Leben ererbe?
Aber Jesus sprach zu ihm: Was heißt du mich gut? Niemand ist
gut denn der einige Gott. Mark. 10, 17.18
In dem Jüngling war ein edles Streben, ein Zug nach oben, den
Gott in ihm geweckt hatte. Er hatte das höchste Ziel vor
Augen, er wollte das wahre und ewige Leben gewinnen. Aber es
war noch viel Unklarheit dabei. Er kannte sich noch nicht.
Die Jugend schwärmt gern ein wenig. Man ist überschwenglich.
Der Jüngling kniete vor den Heiland hin in heißem Verlangen
nach innerster Befriedigung. Einige Minuten später ging er
unmutig von Jesus weg. Die seelische Begeisterung schlägt
oft schnell ins Gegenteil um. Die Wahrheit ist nüchtern.
Jesus, der die Wahrheit in Person war und ist, wirkt
ernüchternd durch seinen Geist: der unklare Durst wird von
ihm verscheucht. "Was heißt du mich gut? Niemand ist gut
denn der einige Gott." Jesus sagt nicht: Ich bin nicht gut;
denn er war es. Er schließt sich an einer andern Stelle von
uns argen, sündigen Menschen aus, wenn er sagt: "Ihr, die ihr
arg seid" (Luk. 11, 13). Ja, er fragte: "Wer unter euch
kann mich einer Sünde zeihen?" Er wußte, wie keiner außer
ihm, was Sünde war. Er hat sie in ihrem Wesen oder vielmehr
Unwesen erfaßt wie niemand. Aber er wußte von Sünde nicht
aus eigener trauriger Erfahrung. Sie war ihm innerlich
fremd. Der Jüngling aber erkannte Jesus nicht in seinem
einzigartigen Wesen als den eingeborenen Sohn Gottes, der an
dessen absolut gutem Wesen teilhat.
Er sah in Jesus einen Lehrer. Aus seinem Mund war die Anrede
"guter Meister" ungehörig. Jesus rügt sie. Der junge Mann
ist mit dem Wort "gut" allzu freigebig. Er hält sich selbst
auch für gut. Denn er ist sich keiner Übertretung des
göttlichen Gebots bewußt. Er überschätzt sich. Jesus läßt
sich nicht bestechen. Er schließt den an sich
liebenswürdigen Menschen nicht sofort in seine Arme. Er
wirft ihn unsanft aus seinen Träumen: Keiner ist gut, auch du
nicht! Wir bedürfen alle der Reinigung, nicht bloß unserer
Herzen, sondern auch unserer Ausdrucksweise. Wir
übertreiben, gebrauchen zu starke Ausdrücke, sagen
schmeichelnde Worte und denken anders. Wir reden geistlich,
führen das Wort "Herr" viel im Mund und sind am Ende nur
"Herr, Herr"- Sager. "Der Herr hat mir's gezeigt", sagt z.
B. jemand. Aber im Grunde ist es die Stimme des eigenen
Herzens. Alle Reden, die der Sache nicht entsprechen oder
auch mit dem Innern nicht stimmen, sind hohle Phrasen. Wenn
wir die Worte nicht nach ihrem Vollsinn gebrauchen, machen
wir sie zu falschen Münzen. Laßt uns maßvoll, einfach und
schlicht in der Rede werden! Geben wir gediegene, bare,
vollgewichtige Münze aus! Halten wir uns in den genauen
Linien der Wahrheit! Dann kommen wir dem näher, der die
Wahrheit ist.