Mt 25,40
W.MacDonald
»Insofern ihr es einem der geringsten dieser meiner Brüder
getan habt, habt ihr es mir getan.« Matthäus 25,40
Hier haben wir es sowohl mit einer herrlichen Ermunterung,
als auch mit einer ernsten Warnung zu tun, die uns
wachrütteln sollte. Was immer wir den Brüdern in Christus
tun, wird von Ihm als Ihm Selbst getan betrachtet.
Wir können dem Herrn Jesus täglich Freundlichkeiten erweisen,
indem wir zu einem Mitgläubigen freundlich sind. Wenn wir
den Kindern Gottes Gastfreundschaft erzeigen, ist es, als
ob wir Ihn in unserem Haus beherbergen. Wenn wir ihnen das
beste Schlafzimmer überlassen, dann stellen wir es Ihm zur
Verfügung.
Fast jeder würde sich beeifern, alles in seiner Macht
Stehende für den Herrn zu tun, wenn Er als König der Könige
und Herr der Herren zu uns käme. Aber im allgemeinen kommt
er in sehr bescheidenem Äußeren an unsere Tür, und das stellt
uns auf die Probe. So wie wir den G e r i n g s t e n Seiner
Brüder behandeln, so behandeln wir Ihn.
Ein gottesfürchtiger alter Prediger besuchte eine Versammlung
in der Hoffnung, den Heiligen etwas von Gottes Wort mitteilen
zu können. Er hatte keine besondere persönliche Ausstrahlung
und vielleicht auch keinen dynamischen Predigtstil. Aber
er war ein Diener Gottes und hatte eine Botschaft vom
Herrn. Die Ältesten sagten ihm, sie könnten ihm ihren
Versammlungsraum nicht für seine Vorträge zur Verfügung
stellen und schlugen ihm vor, doch eine Versammlung im
Farbigenghetto aufzusuchen. Das tat er und wurde von den
Brüdern dort aufs wärmste willkommen geheißen. Während
seiner Vortragswoche erlitt er einen Herzschlag und
starb. Der Herr sagte gleichsam zu den Brüdern in der
anspruchsvollen Versammlung: »Vielleicht habt ihr ihn
nicht gewollt, aber Ich habe ihn gewollt. Indem ihr ihn
abgewiesen habt, habt ihr Mich abgewiesen.«
In seinem Gedicht »Wie der Große Gast kam« erzählt
Edwin Markham von einem alten Schuster, der sorgfältige
Vorbereitungen für einen im Traum angekündigten Besuch des
Herrn traf. Der Herr kam nie. Aber es kam ein Bettler, und
der Schuster versah ihn mit Schuhen. Einmal kam eine alte
Frau. Er gab ihr zu essen und half ihr, ihre Bürde zu
tragen. Ein anderes Mal kam ein verlorengegangenes Kind,
und er brachte es zu seiner Mutter zurück.
Dann hörte er in der Stille eine leise Stimme:
»Erhebe dein Herz, denn Ich habe Mein Wort gehalten.
Dreimal kam Ich an deine gastfreundliche Tür.
Dreimal fiel Mein Schatten über deine Schwelle.
Ich war der Bettler mit den wunden Füßen,
Ich war die Frau, der du zu essen gabst,
Ich war das verlorene Kind auf der Straße.«
C.O.Rosenius
Was ihr getan habt einem unter diesen Meinen geringsten
Brüdern, das habt ihr Mir getan. Matth. 25, 40.
,,Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt Mich gespeist; Ich
bin durstig gewesen, und ihr habt Mich getränkt; Ich bin ein
Gast gewesen, und ihr habt Mich beherbergt, nackend, und ihr
habt Mich gekleidet, krank, und ihr habt Mich besucht. Ich
bin gefangen gewesen und ihr seid zu Mir gekommen. - Was ihr
getan habt einem unter diesen Meinen geringsten Brüdern, das
habt ihr Mir getan." (Vers. 35, 36, 40.) Aus den Werken, die
Christus hier aufzählt, können wir etwas über das weite Feld
christlicher Wohltätigkeit lernen. Wir merken, daß Er hier
eine nach außen gerichtete Tätigkeit gutheißt; Er redet nicht
nur von dem Guten, das ein jeder innerhalb seines Hauses tun
kann, sondern Er sagt auch: ,,Ich bin krank gewesen, und ihr
habt Mich besucht." Es ist darum betrüblich, wenn unter
Christen sehr unterschiedliche Meinungen über die Frage
bestehen, inwiefern wir die Not aufsuchen sollen oder nur
warten, bis sie an unsere Tür klopft.
Der eine beklagt, daß er an einen häuslichen Beruf gebunden
sei und dadurch keine Gelegenheit habe, gute Werke zu tun,
nicht bedenkend, daß wir ja gerade im Hause, unter den uns
am nächsten Stehenden, die meisten guten Werke üben müssen.
Andere, die auch Christen sein wollen, verwerfen jede
ausgedehntere Wirksamkeit und beschränken ihre Wohltätigkeit
ausschließlich auf die Allernächsten. Wo man aber nicht
darauf aus ist, seine eigene Gemächlichkeit zu verteidigen,
sondern wirklich die Wahrheit sehen will, wird man aus den
Worten Christi ,,Ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr
habt Mich besucht" - wie auch aus dem allgemeinen Gebot der
Liebe ,,Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" -
hinreichend überzeugt werden, daß jeder Christ, je nach
Gelegenheit und Vermögen, allen Menschen dienen soll, nicht
nur seinen Hausgenossen und Freunden - ,,denn tun nicht die
Zöllner auch also?" -, sondern auch denjenigen, die außerhalb
sind.
Es gab auch zur Zeit Jesu einen Mann, der sich dem Gebot der
Liebesbeweisung gegen den Nächsten entziehen wollte und darum
fragt: ,,Wer ist denn mein Nächster?" Christus aber zeigt in
Seinem Gleichnis vom barmherzigen Samariter, daß man allen
Menschen dienen soll, auch dort, wo ein solcher Abstand wie
zwischen den Juden und den Samaritern besteht. Beachte dies!
Es sind sehr gute und Gott wohlgefällige Werke, wenn du durch
den Glauben zuerst mit deinem Heiland Freundschaft hältst und
alsdann mit Geduld und Treue deinen häuslichen Pflichten
obliegst, sei es als Befehlender, z. B. als Hausvater oder
Hausmutter, sei es als Gehorchender, als Kind oder Diener.
In jedem Stand hat man viele gute Werke auszuüben, die oft
viel Geduld und Überwindung erfordern. Kannst du darin treu
aushalten, so sind sie alle Gott wohlgefällige Werke; denn
sie sind vom Herrn selbst befohlen und verordnet. Kannst du
aber außerdem noch denen dienen, die außerhalb des Hauses
in geistlicher oder leiblicher Notlage, krank, arm oder
unwissend sind, so siehst du hier, daß Jesus eines Tages
diese Weise so rühmen will, daß Er sagen wird: ,,Ich bin
krank gewesen, und ihr habt Mich besucht; Ich bin gefangen
gewesen, und ihr seid zu Mir gekommen." Kurz: ,,Eines
Christen Werke haben keinen Namen", sagt Luther, das heißt,
ein Christ tut keine bestimmten Werke wie die Heuchler, die
ein gewisses Werk auswählen, und außer diesem erhält man
nichts Gutes von ihnen. Ein Christ hat Liebe, und durch sie
tut er allerlei Gutes, nach den Worten Jesu: ,,Alles, was
ihr wollt, das euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen
auch." Er hat die große Gnade, in der Freundschaft Gottes
und unter einer ewigen und beständigen Vergebung zu leben,
solange Gott den Bürgen, Seinen geliebten Sohn, nicht
verwirft. Dazu kommt, daß Christus unsere geringen Werke mit
einem solchen Wohlgefallen betrachtet, daß Er sagen wird:
,,Das habt ihr Mir getan". Wie lieblich ist es dann, im
Großen und im Kleinen auf Ihn zu blicken und bei sich zu
sprechen: ,,Um des Heilands willen will ich jetzt diesem
Armen ein Kleidungsstück geben; um des Heilands willen will
ich jenem Unwissenden ein heilsames Wort sagen; um des
Heilands willen will ich jetzt mit diesem meine Geduld
prüfenden Menschen Nachsicht üben und ihm ein freundliches
Antlitz zeigen und ein gutes Wort gönnen; um des Heilands
willen will ich mich der Mühe unterziehen, diesen oder jenen
Elenden zu besuchen" usw. Wenn ich den Trost des Glaubens
und Liebe in meinem Herzen habe, dann ist alles eine Lust.
Es wird uns dennoch scheinen, als hätten wir nichts getan,
so daß wir, wenn der Herr aufzählt, was wir Ihm getan haben,
antworten werden: ,,Wann waren wir so glücklich, Dir dienen
zu dürfen?" Aber dann wird Er bekräftigend erklären:
,,Wahrlich, Ich sage euch! Was ihr getan habt einem unter
diesen Meinen geringsten Brüdern, das habt ihr Mir getan."
Laß mich an anderen üben,
Was Du an mir getan,
Und meinen Nächsten lieben,
Gern dienen jedermann
Ohn' Eigennutz und Heuchelschein,
Und wie du mir erwiesen
Aus reiner Lieb allein.