Mt 24,2
J.Kroeker
Von seinen Gerichten.
"Jesus aber sprach zu ihnen: Sehet ihr nicht dieses alles?
Wahrlich, Ich sage euch, hier wird kein Stein auf dem anderen
bleiben, der nicht zerbrochen wird." Matth. 24,2.
Ja, welch ein Bau ist das! Ruhend auf so großer
Vergangenheit, verbunden mit so vielen Gottesoffenbarungen,
erbaut mit solcher Liebe und Hingabe eines Volkes! Ja, welch
ein Bau ist das! Wahrlich groß, nicht aber groß genug, um
dem Menschen zum Wege zurück zu Gott zu werden. Nicht fest
genug, um gegen Gerichte der Zukunft stehen zu können. Nicht
heilig genug, um unheilige Völker zurück aus ihrer Verirrung
in die Tischgemeinschaft mit dem Vater zu führen! "Siehst du
dieses große Gebäude? Es wird kein Stein auf dem anderen
gelassen werden, der nicht zerbrochen wird", war des Meisters
Antwort an seine Jünger.
O Jerusalem! Was hast du mit deinem Heiligsten, seit Jesus
von deinem Gerichte sprach und über deinen Untergang weinte,
gesehen und erlebt! Heute stehen wir auf deinem Tempelplatz,
mit innerlicher Wehmut und tiefer Ergriffenheit schauen wir
auf deine glanzvolle Vergangenheit und auf deine Gerichte
zurück, die bald zweitausend Jahre dir gebracht haben.
Bemüht man sich doch bisher vergeblich, wenigstens noch Reste
eines salomonischen Tempels zu finden. Nur unterirdische
Zisternen und Felsrinnen verraten, dass hier offenbar die
Abfuhrkanäle des Blutes und der Abwässer gewesen sein mögen,
die vom Tempel und seinen Opferstätten hinab ins Kidrontal
führten.
Mit welch einem entsetzlichen Blutbad war am 5. August 70
nach Christi deine erste Einnahme durch die römischen Heere
eines Titus verbunden. Da die Römer sich gezwungen sahen,
durch Erstürmung Zoll um Zoll die Stadt zu nehmen, gerieten
sie in solche Wut, dass trotz Titus' ausdrücklichem Befehl,
das Tempelgebäude zu schonen, auch dieses durch eine
Brandfackel in Flammen gesetzt wurde. Nun war der
allerletzte Widerstand gebrochen. Die heilige Opferstätte
sah sich bald mit einem Haufen von Leichnamen bedeckt, und
das Blut der Abgeschlachteten und das Feuer des Tempels
erstickten auch den letzten Todesschrei eines Volkes, das in
Jesus nicht nur seinen Propheten, in Ihm auch seinen Messias
verworfen hatte.
Wahrlich, es ist entsetzlich, wenn Einzelne wie Judas und
Völker wie Israel in ihrem Widerspruch gegen Jesus an der in
Ihm geoffenbarten Reichsgotteswirklichkeit zugrunde gehen
müssen. "Euer Haus soll euch wüste gelassen werden", hatte
Jesus warnend zu den Pharisäern gesagt, die ihre Feindschaft
gegen Ihn als den Gesalbten des Vaters bis zur Forderung
steigerten: "Nicht dieser, sondern Barrabas!"