Mt 22,12
C.Eichhorn
Eine furchtbare Enttäuschung
Freund, wie bist du hereingekommen und hast doch kein
hochzeitliches Kleid an? Er aber verstummte. Matth. 22, 12
Dieses erschütternde Wort geht die Frommen an. Der König
redet ihn als "Freund" an. Er hielt sich also zu den Freunden
des Königs. Er wollte die "Hochzeit" mitfeiern. Aber es
fehlte ihm die Hauptsache, das hochzeitliche Kleid. Das ist
Christus, in den wir uns im Glauben hüllen (Röm. 13, 14a).
Paulus will in ihm erfunden werden. Außer dem Herrn ist man
verdammungswürdig, in ihm gerecht. Das hochzeitliche Kleid
ist ein festliches Gewand. Wahre Gotteskinder haben etwas
Festliches. Das Klagen, Kritisieren, Murren, all das
unzufriedene Wesen, die kleinlichen Sorgen und das Wühlen
im Irdischen ist das Gegenteil von einem festtäglichen
Gepräge. Dank, Lob und Anbetung unseres Gottes machen uns zu
Festtagsmenschen mitten im Alltagsleben. Dieses hochzeitliche
Kleid kann man auch wieder verlieren. "Selig ist, wer da
wacht und bewahrt sein Kleid!" Sonst entfällt es uns, und
unsere schandbare Blöße kommt zum Vorschein. Gar viele eignen
sich dieses Kleid nie wirklich an. Sie wollen zum Volk Gottes
gehören und mit dem alten Wesen doch nicht völlig aufräumen.
Sie nennen sich Gotteskinder, sind es aber nicht, weil
niemals der Herr durch eine gründliche Bekehrung in ihnen
Wohnung machen konnte. "Wie bist du hereingekommen?" Hast du
dich als Mitläufer eingeschmuggelt? Du standest in keinem
Lebensverhältnis zu Christus, und doch haben dir andere und
du selbst die Gotteskindschaft zugesprochen. Alles war nur
religiöse Form, erborgt, kopfmäßig angeeignet, aber nicht von
oben eingepflanzt. Den Namen "Herr, Herr" führtest du im
Mund, aber dieser herrliche Name war dir nicht durch den
Heiligen Geist ins Herz geschrieben. Du wahrtest den Schein
des gottseligen Lebens, aber seine Kraft fehlte dir. Ein
frommer Schleier verhüllte dein altes, böses Wesen. Du
lebtest in frommer Täuschung. - Uns selbst und Menschen
können wir täuschen, Gott aber nicht. Vor ihm kann der
fromme Schein nicht bestehen. Da fällt die Maske. Er
verstummte. Sonst führte er fromme Reden und konnte sich gut
herausreden oder in ein günstiges Licht stellen. Aber nun
ist's damit vorbei. "Bindet ihm Hände und Füße und werft ihn
hinaus in die äußerste Finsternis!" lautet des Königs Urteil.
Ein furchtbares Gericht wird über alle unwahren und
heuchlerischen Menschen ergehen. Schlechte Taten werden von
dem Menschen nicht berichtet. Er hat nie vom Glanz der
Wahrheit sich durchleuchten lassen; darum gehört er mit Recht
in die Finsternis. Er war im Grunde von der Sünde und dem
eigenen Ich gebunden; darum ergeht mit Recht der Befehl:
"Bindet ihn!" - Nicht die Gottlosen trifft das schwerste
Gericht, sondern die, welche für Freunde des Königs gelten
wollten und doch nie auf seinen Sinn eingingen. Mit "Freund"
redet ihn der König an. Darin liegt die Schwere seiner
Schuld. Er wollte scheinen, was er nicht war - das Ärgste,
was es gibt.
C.O.Rosenius
Freund, wie bist du hereingekommen und hast doch kein
hochzeitliches Kleid an? Matth. 22, 12.
Christus sagt hier, daß ,,das Himmelreich", d. h. Sein
Gnadenreich auf Erden, ,,einer Hochzeit gleich sei, die ein
König seinem Sohn machte". Er lud viele dazu ein, die
meisten aber verachteten die Einladung und entschuldigten
sich, sie könnten nicht kommen. Der eine war durch seine
Hantierung, der andere durch seinen Acker, der dritte dadurch
verhindert, daß er sich eine Frau genommen hatte. Doch
verachteten nicht alle diese Einladung. Viele nahmen sie an;
die Tische wurden alle voll. Aber nun sagt Jesus, daß unter
denen, die die Einladung angenommen hatten, zur Hochzeit
gekommen waren und an den Tischen saßen, auch ein Mann
gefunden wurde, der kein hochzeitliches Kleid anhatte,
sondern in seinen Alltagskleidern dasaß, und daß er deshalb
an Händen und Füßen gebunden und in die äußerste Finsternis
geworfen wurde.
Was meint der Herr damit? Der Mann war doch zur Hochzeit
gekommen, gehörte also nicht den ferngebliebenen Verächtern
an, sondern saß am Hochzeitstische unter den anderen
glücklichen Gästen. Dieses soll sagen: Es gibt Menschen, die
das Rufen und die Weckstimmen des Geistes an ihrem Herzen
nicht nur erfahren, sondern insofern auch befolgt haben, daß
sie angefangen haben, ihre Seligkeit zu suchen. Sie haben
ihre früheren eitlen Wege verlassen und sich mit Gläubigen
vereinigt im Umgang, in den Sitten und Beobachtungen, im
Lesen, Singen und Hören des Wortes Gottes, in Gebeten und
Betrachtungen, in einer christlichen Wirksamkeit, kurz, in
allem, was besonders zu einer ernsteren Gottesfurcht als der
der Masse zu gehören scheint. Jener Mann kann also nicht den
großen, sicheren Haufen unter uns bezeichnen; denn wo hätten
wir dann diejenigen, die die Einladung erhielten, aber nicht
kamen? Die Heiden, die das Wort nicht haben, haben ja auch
die Einladung nicht. Wir sehen also, daß dieser Mann ein
religiöser Mensch war, der eine religiöse Schar in der
Gemeinde der Christgläubigen darstellt, da er sich im
Hochzeitssaal befand und die Einladung nicht verachtet hatte.
Und doch fehlt diesen Menschen etwas so Wesentliches, daß
sie in die äußerste Finsternis hinausgeworfen werden.
Ganz dasselbe wie dieser Mann stellen auch die fünf
Jungfrauen bei der Hochzeit dar, die kein Öl in ihren Gefäßen
hatten. Da sagt Jesus: ,,Das Himmelreich wird gleich sein
zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und ausgingen, dem
Bräutigam entgegen" usw. Die ganze Zeit hindurch, in der sie
warteten, bemerkte man keinen Unterschied zwischen den klugen
und den törichten. Sie waren alle Jungfrauen, sie hatten
alle ihre Lampen, sie gingen alle dem Bräutigam entgegen, sie
warteten alle auf den fröhlichen Eintritt mit Ihm in den
Hochzeitssaal, in die Herrlichkeit. Zur Mitternacht aber,
als das Geschrei vernommen wurde: ,,Siehe, der Bräutigam
kommt!", da erst wurde der Unterschied offenbar, daß die
Hälfte von ihnen kein Öl hatte, daß ihre Lampen nicht
brannten, und daß sie darum von der Hochzeitsfreude
ausgeschlossen wurden.
Noch schrecklicher und stärker aber ist der Ausdruck in
Joh. 15, wo Christus sagt: ,,Reben an Mir, die nicht Frucht
bringen." Ein jeder denke darüber nach, was dieses Wort
enthält! In Matth. 7 sagt der Herr ohne Bildersprache,
wieviel man in Seinem Namen tun kann, ohne rechtschaffen
zu sein: Man kann in Seinem Namen weissagen, in Seinem
Namen Zeichen und Wunder tun, wie Teufel austreiben, Tote
auferwecken, kurz, man kann viele kräftige Taten tun. Der
Bischof zu Sardes war sowohl in der Lehre als auch im Wandel
so, daß er allgemein für einen lebendigen Christen angesehen
wurde; er war es aber doch nicht. ,,Du hast den Namen, daß
du lebst, und bist tot," heißt es von ihm.
Wer sollte sich hier nicht vor sich selbst fürchten,
wenn solche Worte aus dem Mund Christi gehen? Die
rechtschaffensten und geistlichsten Christen haben bei
solchen Worten oft große Furcht gehegt, möglicherweise
betrogen zu sein, und haben mit Kraft und Eifer gerufen:
,,Erforsche mich, Gott, und siehe, ob ich auf bösem Wege bin"
usw. Solltest nur du nicht nötig haben, die Worte hiervon zu
beachten?
Wir gehen jetzt daran zu sehen, was diesen Religiösen, deren
Ende so erschrecklich war, gefehlt hat. Das hochzeitliche
Kleid! - ,,Du hast kein hochzeitliches Kleid an!" Was mag
das bedeuten? Offb. 19 steht, daß es bei der Hochzeit des
Lammes der Braut gegeben war, sich anzutun mit reiner,
schöner Seide - und dann wird hinzugefügt: ,,Die Seide
aber ist die Gerechtigkeit der Heiligen." Was dieses
Gerechtigkeitskleid der Heiligen ist, sieht man im 7. Kap.,
wo von der seligen weißgekleideten Schar gesagt wird: ,,Diese
sind es, die gekommen sind aus großer Trübsal und haben ihre
Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht im
Blutdes Lammes. Darum sind sie vor dem Thron Gottes." -
Zu dem lauen Lehrer zu Laodizea sagt Jesus: ,,Ich rate dir,
daß du Gold von Mir kaufst - und weiße Kleider, daß du dich
antust und nicht offenbar werde die Schande deiner Blöße." -
Die bei der Hochzeit sind, aber in ihren eigenen Kleidern
dasitzen und nicht das hochzeitliche Kleid des Königs
anhaben, sind also die Religiösen, die mit mehr oder weniger
Ernst, Eifer und Gottesfurcht doch noch in ihrer eigenen
Gerechtigkeit einhergehen. Sie haben noch nie ihre Sünde
recht erkannt; sie sind noch nie ihrer eigenen Gerechtigkeit
entkleidet worden, sie haben noch nie von Herzen in seligem
Schamgefühl bekennen können: ,,Ich bin in Jesu Tod und Blut
g'nug selig, heilig, rein und gut."