Matthäus

Mt 18,21 C.Eichhorn Hüten wir uns vor Unversöhnlichkeit Petrus sprach: Herr, wie oft muß ich meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist es genug siebenmal? Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal. Matth. 18, 21.22

Solange wir auf dem gesetzlichen Standpunkt stehen, zählen wir. Die Liebe zählt und zirkelt nicht ab. Die Liebe hat keine äußeren Vorschriften. Sie hat ihr Gesetz in sich, bei ihr findet ein inneres Muß statt. So ist die Liebe zugleich die wahre Freiheit. Pflichtmenschen sind fertig, wenn sie ihre bestimmten Obliegenheiten erfüllt haben; die Liebe wird nie fertig, sie kommt nie zu Ende, sie hat Unendlichkeitscharakter wie Gott selbst, der die Liebe ist. Die Liebe kann nie genug tun. Wer selbstzufrieden denkt, er habe seine Schuldigkeit getan, der hat noch nichts von der Liebe. Denn sie bleibt immer Schuldnerin, auch wo es sich um Vergeben handelt. Petrus stand noch im Gesetz: "Wie oft muß ich vergeben?" Er dachte, siebenmal müsse doch das Äußerste sein; und dann heiße es: Nun bin ich fertig mit dir, wir sind geschiedene Leute. Die Liebe aber wird nicht müde, zu vergeben. Oder wird Christus müde, dem reuigen Sünder Vergebung angedeihen zu lassen? Wie oft vergibt er uns? Etwa am Tag nur einmal? Wie oft fehlen wir in Gedanken und mit Worten? Ist es zu zählen? Sind wir überhaupt jemals, auch nur einen Augenblick so, wie Gott uns haben will? Bleiben wir nicht beständig zurück? Muß nicht Christus immer wieder fürbittend für uns eintreten? "Vergebt einer dem andern, gleichwie Gott euch vergeben hat in Christus!" Wenn das Vergehen des anderen dir groß erscheint, denke an deine unendlich größere Schuld vor Gott! Will das Vergeben dir schwer werden, dann denke an die Unsumme deiner Versäumnisse! Dann wird die Schuld des andern klein, du schämst dich deiner Unversöhnlichkeit und vergibst von Herzen. - Zum vollen Vergeben gehört das Vergessen. Wenn du noch heimlich anrechnest, lügst du, wenn du behauptest, vergeben zu haben. Wenn wir von Herzen vergeben, öffnen wir uns die Gnadentür. Durch Unversöhnlichkeit richten wir eine Wand auf zwischen Gott und unserer Seele. Die ganze zuvor vergebene Schuld fällt wieder auf uns. - Dies zeigt uns das Gleichnis von dem großen Schuldner; es gehört zur Antwort Jesu auf Petri Frage. Der König erläßt dem um Erbarmen Bittenden die Riesenschuld. Der Begnadigte aber hat taube Ohren für die gleiche Bitte seines Mitknechtes, der ihm nur einen winzigen Betrag schuldet. Leider ist dieses Unbegreifliche nicht aus der Luft gegriffen. - Der Schlüssel zu diesem Verhalten liegt in den Worten: "Er ging hinaus." In der Gegenwart des Herrn, der so großmütig an ihm gehandelt hatte, wäre es unmöglich gewesen. Aber nun war ihm das Antlitz des Königs entschwunden. Wenn uns die Gnade nicht täglich gegenwärtig bleibt, wenn wir sie vergessen, dann kann der lieblose, unversöhnliche Sinn die Oberhand gewinnen. So fällt man wieder aus der Gnade. Das ist dann schlimmer, als wenn wir nie Gnade empfangen hätten.





J.Kroeker Von unseren Glaubenskonflikten.

"Da trat Petrus herzu und sprach: Herr, wie oft soll ich meinem Bruder vergeben, welcher an mir sündigt? Bis zum siebenten Mal?" Matth. 18,21.

Petrus tritt im Namen aller Jünger vor den Meister mit der Frage: "Wenn mein Bruder sich gegen mich versündigt, wie oft muss ich ihm wohl vergeben?" Eine ungemein praktische Frage, praktisch, weil sie so aus der Alltäglichkeit geboren ist. Denn solange wir mit einem Nächsten in Fühlung kommen, werden wir finden, dass der Nächste in irgendeiner Form sich gegen uns versündigen kann. Das wird erst aufhören mit der Vollendung. Solange aber die Welt und wir mit ihr unvollendet sind, wird es solche Verfehlungen geben.

Und da fragt Petrus: "Wie oft soll ich wohl meinem Bruder vergeben, ist es genug siebenmal?" Er stellt eine sehr bestimmte Frage. Denn der Talmud und die Gerechtigkeit der Pharisäer verlangte, dass man im Laufe eines Tages dreimal vergeben soll. Man gründete sich auf ganz bestimmte Aussprüche des Alten Testamentes, so z.B. auch auf jenes Wort, wo es im Buche Hiob heißt: "Solches tut Gott zwei- bis dreimal an dem Menschen ..." So hatte man die Regel gefunden, dass man dem Bruder dreimal vergeben solle. Versündigt er sich aber zum vierten Mal, dann ist man nicht mehr verpflichtet, ihm zu vergeben.

Wir können es uns denken, wie auch diese Frage die Jünger in einen inneren Konflikt gebracht haben muss. Was antwortete jedoch Jesus? Er sprach: "Ich sage dir, nicht siebenmal, sondern siebzig mal siebenmal." Petrus hatte sich innerlich bei dieser Frage bereits auf einen weit höheren Standpunkt gestellt. Er sagte sich offenbar, als Jünger eines Meisters, der eine weit höhere Gerechtigkeit verlangte wie die der Pharisäer und Schriftgelehrten, muss man jedenfalls das doppelte Maß annehmen. "Genügt es, wenn ich meinem Bruder siebenmal am Tage vergebe?"

Wie löst Jesus dem Simon diesen inneren Konflikt zwischen menschlicher Verfehlung und dem Maß unserer Vergebung? Haben wir einmal darauf geachtet, dass Jesus diese Frage ganz aus dem Bereich eines Maßes und aus dem Bereich der Verpflichtung heraushebt? Dass Er einem Petrus sagt: "Petrus, für die Vergebung gibt es kein Maß! Wenn du ein Jünger deines Meisters sein willst, dann sollst du wissen: die Vergebung liegt jenseits jeglichen Maßes! Wenn du auch annimmst siebenmal - nein, Petrus, siebzig mal siebenmal - maßlos! Denn die Vergebungsfrage ist nicht eine Frage des Maßes und nicht eine Frage der Verpflichtung. Sie ist eine Frage der Liebe, und die ist unendlich. Die zählt nicht, die kennt kein Maß! Die sieht sich auch nicht verpflichtet, dass man fragen muss: "Wie oft muss ich denn meinem Bruder vergeben?" Sie handelt im Geist der Vergebung, die sie geschaut hat im Angesicht Jesu Christi.