Matthäus

Mt 11,2 J.Kroeker Von unseren Glaubenskonflikten.

"Als aber Johannes im Gefängnis die Werke Christi vernahm, ließ er ihn durch seine Jünger fragen: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines anderen warten?" Matth. 11,2 f.

Welch eine Erschütterung in seinen messianischen Erwartungen erlebte einst der Täufer Johannes in der Bergfeste Machärus. Um der Wahrheit willen saß er hier gefangen. Herodes hatte dessen offenes Prophetenwort nicht ertragen. Wie hatte Johannes auf Grund des prophetischen Wortes und angesichts des Auftretens Jesu gehofft, dass mit dem Gekommenen das messianische Gottesreich angebrochen sei. Wie berechtigt und gewiss schienen ihm all seine Erwartungen zu sein, nachdem er Jesus getauft und dessen Taten in der Vollmacht Gottes gesehen hatte.

Nun saß er jedoch im Gefängnis. Seine Seele kommt in schwerste Konflikte. Ja, er sendet seine Jünger zu Jesus und lässt Ihn fragen: "Bist Du (bereits) der Kommende, oder sollen wir noch auf einen anderen warten?" Wir kennen die Antwort, die Jesus dem größten unter den alttestamentlichen Propheten sendet. Lahme gehen, Blinde sehen, Aussätzige werden rein, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium verkündigt. Und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.

Wessen Seele hat seitdem nicht ähnlich gelitten, wenn die Reichsgotteswirklichkeit sich im Laufe der Jahrtausende immer wieder nur als Einzelerscheinung offenbarte und nicht in ihrer erlösenden Kraft das Ganze erfasste? Wenn man sah, dass die Erfüllung der messianischen Erwartungen auf Grund des prophetischen Wortes von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, von Jahrhundert zu Jahrhundert weiter hinausgeschoben wurde? Wie oft ist im Laufe der Kirchengeschichte von der leidenden, gefangen gesetzten und wartenden Gemeinde mit Johannes gefragt worden: "Bist Du der Kommende, oder sollen wir noch auf einen anderen warten?"

Zu jeder dunklen Zeit der Geschichte, in der der Geist des Abgrundes und der Widerspruch gegen Christus sich besonders stark erhoben, hat Jesu Jüngergemeinde unter dem Verzug der Erfüllung ihrer messianischen Erwartungen unendlich gelitten. Sie weiß, dass auch die von den Völkern ersehnte Erlösung nur kommen kann von Ihm, dem Haupte, dass erst mit Ihm der volle Durchbruch der Gottesherrschaft auf Erden verwirklicht werden wird. Wie stark jedoch die Sehnsucht der Kirche Christi nach einer letzten Vollendung auch war, sie sah und erlebte die Offenbarung seiner Herrlichkeit bisher auch immer wieder nur in Einzelerscheinungen. Das Ganze der prophetischen Erfüllung für sie und für die Welt steht immer noch aus. Sie lebt daher bis heute in dem großen Advent und fragt täglich neu angesichts all der Leiden, Erschütterungen und Gerichte der Geschichte: "Hüter, ist die Nacht bald hin?"