Dan 4,26
J.Kroeker
Von Babel und ihrem Fall.
"Als Nebukadnezar sich nach zwölf Monaten auf seinem
königlichen Palast zu Babel erging, da hob der König an und
sprach: Ist das nicht die große Babel, die ich mir erbaut
habe zur königlichen Residenz kraft meines Reichtums und
zu Ehren meiner Majestät?" Dan. 4,26 f.
Zwar gelang es je und je dem Menschen, durch seine
Intelligenz eine Kultur und durch zielbewusste
Machtentfaltung ein Herrschaftsgebiet zu schaffen, das
einen neuen, ja vielfach ungeheuren Fortschritt in seiner
Geschichte bedeutete. Das Leben wurde durch die gewonnenen
Kulturgüter unendlich bereichert; durch die Macht sah es sich
in dem Erworbenen und Geschaffenen bewacht und gesichert.
Reichtum der Kulturwerte und Sicherheit des Besitzes
verführten jedoch den Menschen stets zur Selbstberauschung an
dem Geschaffenen.
Als z.B. anderthalb Jahrtausende später Nebukadnezar sein
grandioses Lebenswerk vollendet hatte, genoss er es mit Stolz
und Selbstbewusstsein. Im Glanz der morgenländischen Sonne
sah er eines Tages die wundervolle und mzächtige Schöpfung
seines Geistes vor sich liegen. In dieser Stunde wurde in
seiner berauschten Seele jener Psalm geboren: "Ist das nicht
die große Babel, die ich mir zur königlichen Residenz erbaut
habe kraft meines Reichtums und zur Ehre meiner Majestät?"
Wahrlich, ein Psalm, der nicht aus der Inspiration einer
göttlichen Offenbarung, vielmehr aus der Begeisterung über
das Können und die Herrlichkeit der eigenen Kraft floss. Er
ist der große Psalm der Weltgeschichte geworden! Wer den Mut
besitzt, sich der Jahre vor unserer gegenwärtigen Weltkrise
zu erinnern, der wird heute noch den Ton dieses Psalms
vernehmen, der damals in seltener Selbstberauschung gesungen
wurde. Ihn sangen die Lenker der Geschichte, die Träger der
Macht, die Männer der Wissenschaft, die Schöpfer der Kunst,
die Propheten des Fortschrittes, die Apostel der Neuzeit.
Ist das nicht das Vaterland, die Kultur, die Zivilisation,
die Kunst, die Errungenschaft, die Technik, die Bildung, der
Wohlstand, die wir uns kraft unserer Intelligenz und unserer
Machtentfaltung geschaffen haben! Geschaffen haben letzthin
auch ohne Gott, eingestellt allein auf unser eigenes Können,
getragen von der Kraft unserer eigenen Inspiration!
Es ist nun aber eine wunderbare Wahrnehmung in der
Geschichte, dass bisher jede Macht und jedes Kulturleben,
sobald sie zur höchsten Höhe ihrer Gewalt und zur höchsten
Blüte ihres Fortschrittes emporstiegen, blind wurden und
daher im Bewusstsein ihrer Stärke jegliche höhere Klugheit
verschmähten. Gottes Walten im großen Weltgeschehen fügte
es, dass auf diesem Wege das Tier durch das Tier seine
Todeswunde erhielt. So schützte Gott die Welt vor dem
Entstehen einer alles unterjochenden Weltmonarchie, dieser
letzten Schöpfung, der der Mensch ohne Gott entgegenstrebt.