Jes 55,3
C.O.Rosenius
Höret, so wird eure Seele leben! Jes. 55, 3.
Sieh hier, wie der Prophet die Hauptlehre der ganzen Schrift
bestätigt, daß wir durch den Glauben vor Gott gerecht werden.
Paulus sagt: ,,Der Glaube kommt aus der Predigt"; und Jesus
sagt: ,,Ihr seid rein durch Mein Wort. Ihr habt nicht mehr
getan, als Meine Rede gehört; dann ist der Glaube in euren
Herzen entstanden, und darum seid ihr rein." Das sagt
derselbe Christus, der am Jüngsten Tag richten wird. Da die
Schrift nun alle Seligkeit nur an das kurze Wort ,,Glaube"
knüpft, wollen wir jetzt unsere ganze Aufmerksamkeit auf
den einzigen Punkt richten: ,,Wie kommt man zum Glauben, und
was ist der Glaube? Jeder erweckte, heilsuchende Mensch hat
schließlich um diesen Punkt all seine Bekümmernisse, und
seine ganze Seligkeit hängt von dieser Frage ab.
Vernimm denn, was der Geist des Herrn spricht: ,,Höret, so
wird eure Seele leben!" Der Glaube kommt aus dem Hören. Er
kommt nicht von selbst. Es ist der Irrtum und Schaden aller
Erweckten, daß sie nur denken und immer wieder denken, aber
nicht hören, was Gott sagt. In dieser Weise entsteht der
Glaube nicht, auch nicht durch bloßes Wünschen und Warten
auf den Heiligen Geist, auch nicht durch Arbeit am Herzen, um
es zum Glauben zu bringen. Jesus sagt: ,,Durch Mein Wort".
Halte still und höre, wie Gott redet. Fasse Ihn beim Wort
und baue darauf, daß Er nicht lügt, mag es mit deinem
Verdienst und mit deiner jämmerlichen Bekehrung auch so übel
aussehen, wie es kann, und mag sie in deinem Herzen so wenig
gefühlt werden, wie sie wolle. Kannst du nur Gott beim Wort
nehmen und mit dem Glauben des Herzens Sein Zeugnis von
Christus umfassen, dann hast du zugleich auch den ganzen
Heiland und alles, was Er uns erworben hat. Beachte, wie
köstlich der Apostel Röm. 10, 6-9 davon redet: ,,Die
Gerechtigkeit aus dem Glauben spricht also: ,Sprich nicht in
deinem Herzen: Wer will hinauf gen Himmel fahren?' (Das ist
nichts anderes, denn Christus herabholen.) Oder: ,Wer will
hinab in die Tiefe fahren?' (Das ist nichts anderes, denn
Christus von den Toten holen.) Aber was sagt die Schrift?
,Das Wort ist dir nahe, nämlich in deinem Mund und in deinem
Herzen. Dies ist das Wort vom Glauben, das wir predigen'."
Höre solche Lehre! Der Apostel will sagen: Blicke nicht
hierhin und dorthin nach Christus, spähe nicht hinaus in
ungewisse Räume, in eine dunkle, unendliche Ferne! Was
sagt die Schrift? Das Wort ist dir nahe! Höre, du hast das
Wort - das Wort vom Glauben! - Ja, aber Christus? Hörst
du nicht? Du hast das Wort! Nimm das Wort, so hast du
Christus! Dir scheint, daß Christus so fern ist, als wäre Er
im Himmel oder in der Tiefe; du weißt nicht, wo Er ist, oder
wie und wann Er dein werden soll. Du streckst dich in eine
unbestimmte Ferne nach Ihm, aber das brauchst du nicht, sagt
der Apostel. Das Wort ist dir nahe, nämlich das Wort vom
Glauben. Umfaßt du das Wort, so umfaßt du Christus. Denn in
demselben Augenblick, in dem das Wort von Christus in deinem
Herzen Raum erhält, hast du Ihn mit Seinem ganzen Verdienst,
ja, mit allem, was das Wort enthält. In dieser Weise
errettet uns der Glaube. Gott gibt dir ein Wort, du umfaßt
es, und augenblicklich hast du das, was das Wort enthält und
verspricht.
Eben dieses wollte Jesus uns lehren, als Er umherging und
allen nur mit einem Worte half. Er sprach ein Wort, sie
glaubten an dasselbe, und sofort geschah es. Besonders
lehrreich ist das Beispiel des Königischen bei Joh. 4,
47-54. Sein Sohn lag im Sterben. Da ging er zu Jesus und
bat ihn zu kommen und seinen Sohn zu heilen. Jesus dagegen
strafte seinen Unglauben und sagte: ,,Wenn ihr nicht Zeichen
und Wunder seht, so glaubt ihr nicht." Dennoch wiederholte
der Königische sein Begehren. Und auch jetzt ging Jesus
nicht mit ihm. Er gab ihm stattdessen ein Wort und sprach:
,,Gehe hin, dein Sohn lebt." Der Mensch glaubte dem Wort und
ging hin. Er war aber seinem Heim so fern, daß er erst am
anderen Tag seinen Knechten begegnete, die ausgesandt waren,
ihm zu melden: ,,Dein Sohn lebt!" Und als er nach der Stunde
forschte, in welcher es besser mit ihm geworden war, da
merkte er, daß es gerade um die Stunde war, in welcher Jesus
zu ihm gesagt hatte: ,,Dein Sohn lebt", also in der Stunde,
in der er das Wort mit dem Glauben umfaßte.
Erkenne hier, was es heißt, ,,im Glauben zu wandeln". Der
Mann bekam nichts zu sehen. Jesus ging nicht mit ihm, gab
ihm auch kein Arzneimittel, das er tragen und worauf er
blicken konnte. Er bekam gar nichts, was gesehen oder
gefühlt werden konnte, sondern er erhielt nur ein Wort, und
mit dem bloßen Wort ging er bis zum anderen Tag und mußte
sich während der langen Nacht am Wort genügen lassen; danach
erhielt er das Zeugnis durch die Knechte. In derselben Weise
müssen auch wir uns an einem einzigen Wort dieses Herrn
genügen lassen, im Glauben wandeln, wenn wir auch gar nichts
von dessen Erfüllung sehen.
Es ist überaus wichtig, dies tief in unsere Herzen zu prägen.
Denn es ist ganz unbegreiflich, welch langwierige und
marternde Qualen es manche Christen kostet, von ihren
Gefühlen loszukommen und das Geheimnis zu fassen, daß wir
damit anfangen müssen, ein uns von Christus gegebenes Wort zu
umfassen und darauf zu bauen. Wie oft will man doch zuerst
etwas im eigenen Herzen fühlen und merkwürdige Erfahrungen
des Geisteslebens erhalten, bevor man glauben will. Das aber
darf mit uns nicht geschehen, wie jetzt gezeigt wurde.
Dein Wort laß allerwege sein
Die Leuchte unsern Füßen;
Erhalt es bei uns klar und rein,
Hilf, daß wir d'raus genießen
Kraft, Rat und Trost in aller Not,
Daß wir im Leben und im Tod
Beständig darauf bauen.