Jes 54,10
C.O.Rosenius
Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber
Meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund
Meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr,
dein Erbarmer. Jes. 54, 10.
,,Wem soll ich in bezug auf Gott mehr glauben als Gott dem
Herrn selbst?" sagt Ambrosius. Es ist in Wahrheit ein
unglücklicher Umstand, daß bei allen Menschen, auch bei den
erweckten und gläubigen, eine starke Neigung vorhanden ist,
nach inneren Gefühlen, nach eigenem Dünken und eigener
Vernunft über die Seligkeit zu urteilen, über das Verhältnis
Gottes zu uns nach dem zu urteilen, was wir in uns selbst
erfahren oder vernehmen. Man will nicht zu Gott emporsehen,
wie Er Seinen Willen und Rat zu unserer vollen Seligkeit
offenbart hat, und auch nicht darüber nachdenken, was bei
Gott beschlossen ist und wie es in Seinen Ratschlüssen
geschrieben steht, sondern vertieft sich stattdessen in
sich selbst, ängstigt sich, seufzt und fragt gleichsam ins
Ungewisse hinein: ,,Ach, daß ich wüßte, wie es mit der Sache
meiner Seele vor Gott steht! Wie kann ich es wohl in dieser
Weise mit einiger Gewißheit erfahren? Welche Gewißheit kann
ich aus meinen eigenen Gedanken, meinem Denken und meinen
Gefühlen erhalten?" Das eine Mal scheint es mir, daß Gott
eitel Gnade und Liebe ist, das andere Mal meine ich, daß Er
ein gestrenger Richter ist, der nur mit Gesetz und Recht
umgeht. Das eine Mal sehe ich Gott in allem, was mich
umgibt, das andere Mal scheint es mir, daß es keinen Gott
gibt. Das eine Mal halte ich mich für einen ganz guten
Christen, das andere Mal für einen ganz hilflosen Sünder. So
schwanken und wenden sich Meinung und Gefühl hin und her; und
was ich das eine Mal meine, kann ebenso falsch sein wie das,
was ich das andere Mal denke.
Gerade diese Neigung, nach eigenem Dünken zu urteilen,
bewirkt auch, daß so unzählig viele den Weg zur Seligkeit
verfehlen. Dem einen scheint es, daß Gott an diesem, dem
anderen, daß Er an etwas anderem Gefallen habe. So wählt
jeder seinen eigenen Weg, fühlt dabei vielleicht etwas
Liebliches in seinem Herzen und urteilt dann gleich, daß
dies ein guter Weg sei, dem er folgt. So will der eine mit
einigen äußeren Werken des Gesetzes Gott wohlgefallen und für
sich gewinnen, wie z.B. mit Werken der Barmherzigkeit, mit
Kirchgang usw., ein anderer mit einigen inneren, wie z. B.
mit Demut, Liebe usw., ein dritter mit Entsagung, Gebet,
Alleinsein, ein vierter mit religiöser Wirksamkeit vor den
Menschen, ein fünfter mit all diesen Stücken zusammen. Was
aber ist die Ursache von all diesen falschen Pfaden, die die
Menschen nach eigenem Belieben erwählen? Sicherlich nichts
anderes, als daß sie weder wissen, noch bedenken, was Gott
schon von Ewigkeit her in Seinem himmlischen Rat über die
Seligkeit der gefallenen Menschen beschlossen hat, und
welchen Bund Er mit Seinem Sohn geschlossen und welches
Testament Er den Menschen errichtet hat. Wir reden jetzt
nicht von denen, die etwa mit heuchlerischem und falschem
Sinn ihr Heil zu suchen vergessen oder mit eingebildetem
Glauben ,,die Gnade unseres Gottes auf Mutwillen ziehen".
Wir reden vielmehr von denen, die wirklich die Seligkeit
suchen, jedoch auf falschem Wege. Das geschieht, wenn du
zwar die Seligkeit richtig allein durch den Glauben, den
Glauben aber bei dir selbst suchst, zu glauben dir vornimmst
und dich mühst, mit deinem Herzen arbeitest und ringst, um es
zum Glauben zu bringen. Dein Auge richtest du aber nur auf
dich oder auf das, was du erfährst und fühlst, um zu merken,
ob noch Glaube vorhanden ist oder nicht, bekommst aber keine
Gewißheit, sondern schwankst hin und her. Was glaubst du
dann, was die Ursache dazu ist? Wahrlich nichts anderes, als
daß du an der unrechten Stelle, in der Luft - nämlich bei dir
selbst - das suchst, was nie da gefunden wird, sondern was in
der Ratssitzung des Himmels zu suchen war und was uns im
Wort Gottes offenbart ist. Beachte! Der Glaube wird nicht
dadurch entzündet, daß man zu glauben sich vornimmt und
abmüht, sondern dadurch, daß wir unsere Augen von uns
wegwenden, weg von dem, was wir haben, fühlen und sind,
und sie auf das richten, was Gott über unsere Seligkeit
beschlossen und offenbart hat. Du hast zu glauben dich
bemüht und hast Gott um Gnade angerufen, hast aber noch
nie Glauben oder Frieden empfangen, und wunderst dich nun
darüber, was daran wohl die Ursache sein mag. Wundere dich
nicht! Du hast vielleicht noch nie gewußt, erforscht oder
bedacht, was in dem großen Rat beschlossen wurde, den Gott im
Himmel über die Sache der Menschen hielt, ehe der Welt Grund
gelegt war. Du hast vielleicht nie gewußt oder bedacht,
welchen Bund Gott dazumal mit Seinem Sohn schloß und welches
Testament Er für den Menschen machte. Wie notwendig ist es,
dies recht kennenzulernen und sich in Zukunft allein danach
zu richten, allein darauf zu bauen! Dann nämlich stehe
ich auf einem festen Grund, einem im Leben und im Tode
bestehenden Grund, denn es ist ein ewiger Grund. Er wurde
tiefer und früher als die Grundfesten der Erde gelegt. Gott
hat uns in Ihm (Christus) erwählt, ehe der Grund der Erde
gelegt war." Er besteht auch länger als der Grund der Erde.
Denn ,,Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber
Meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund Meines
Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein
Erbarmer."
Ja, außer mir, in Christo, ist meine Seligkeit,
Mein Trost und meine Ruhe in Zeit und Ewigkeit.
Dem Herrn sei dafür Lob und Preis und Ehre!