Jes 29,10
C.O.Rosenius
Der Herr hat euch einen Geist des harten Schlafs eingeschenkt
und eure Augen zugetan. Jes. 29, 10.
Hier ist etwas überaus Bedenkenswertes und zugleich
Erschreckliches: Der große, liebreiche Gott straft
schließlich Seine Verächter so, daß Er sie zu ihrem ewigen
Verderben verblendet. Es ist derselbe gnadenreiche Gott, der
eine so brennende Liebe zu den Menschen hat, daß Er Seinen
eigenen Sohn für uns dahingegeben hat und den unwürdigsten
Sündern alle ihre Vergehen gegen Sich vergibt, sobald sie dem
Sohn huldigen und Seine Jünger werden. Es ist der Gott, der
beständig den armen Kindern alle ihre Sünden vergibt und
ihnen schließlich die ewige Herrlichkeit geben will, obwohl
sie lauter Zorn verdient haben. - Dieser liebreiche Gott
schenkt einigen Menschen einen ,,Geist des harten Schlafs
ein" zur unabdingbaren Verblendung und Verstockung nämlich
derjenigen, die Seiner gnädigen Einladung widerstehen
und nur mit äußeren Werken vor Ihm heucheln. Und dieses
erschreckliche Strafgericht hat Er über das Eigentumsvolk,
über die Kinder Seines Freundes Abraham ergehen lassen,
als sie vor Ihm zu heucheln anfingen. Hier müssen wir die
furchtbare Gerechtigkeit Gottes sehen: ,,Gott läßt sich nicht
spotten!" Während Er überaus gnädig gegen die armen Sünder
ist, die Seine Stimme hören und sich zur Buße und zum Glauben
führen lassen, ist Er aber auch ein schrecklicher Rächer
an den Verächtern, die Seinem Gnadenrufe widerstehen.
Möge niemand denken, daß diese furchtbare Regierung Gottes
nur der alttestamentlichen Zeit angehört. Auch der milde
Heiland spricht mitten in Seinem liebevollen Eifer um die
Menschen dasselbe Urteil über diejenigen aus, die Ihn damals
hörten, Seiner Stimme aber nicht gehorsam waren und dieselbe
nicht zur Buße und zum Glauben annehmen wollten. Bedenke,
daß Er ausdrücklich (Matth. 13) sagt, Er rede ,,deshalb" in
Gleichnissen, damit einige aus dem Volke es nicht fassen
sollten. Er sprach: ,,Diesen ist es nicht gegeben." -
,,Wer nicht hat, von dem wird genommen, was er hat." Und was
ein solcher ,,nicht hat", ist die Empfänglichkeit für die
Stimme Gottes, wenn dieselbe ihn anredet. Und was ihm dann
,,genommen" werden soll, das ist das eigentliche Licht. So
sagt der Apostel auch 2. Thess. 2,10 u. 11: ,,Dafür, daß
sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, auf daß
sie selig würden, darum wird ihnen Gott kräftige Irrtümer
senden, daß sie der Lüge glauben." Sieh, so weit geht der
gerechte Zorn Gottes in dem Verblendungsgericht über Seine
Verächter, daß Er ihnen nicht nur das Licht vorenthält,
sondern ihnen auch kräftige Irrtümer sendet, auf daß sie
der Lüge glauben und verdammt werden.
Dieses letztere erklärt auch einen Fall, der oft wohlmeinende
Christen beunruhigt, daß nämlich zu gewissen Zeiten, vor
allem, wenn das Evangelium in einem Lande mit Kraft und Segen
gepredigt wurde, daselbst auch die schlimmsten Irrtümer
entstehen und durch Reden und Schriften verbreitet werden,
ja, offenbare Angriffe gegen den Glauben an Gott und Christus
gemacht werden. Dann erschrecken die Kinder Gottes bei dem
Gedanken an die vielen, die von den Hauptwahrheiten
weggeführt und zu vollständigen Verleugnern verwandelt
werden. Aber dann sollen wir wissen, daß solche Fälle
Strafgerichte Gottes über die Unbußfertigen sind, die trotz
der ihnen angebotenen freien Gnade Gottes sich nie sagen
lassen, sondern immer dem Geist Gottes widerstehen. Doch
wir dürfen Gottes Gerichte nicht tadeln, auch wenn sie sich
in einem so erschrecklichen Zorn zeigen, daß Er denjenigen
kräftige Irrtümer sendet, die der Wahrheit nicht glauben
wollen. Es ist gewiß sehr schmerzlich, ja, eine entsetzliche
Sache, zu schauen, wie unsterbliche Seelen so irregeleitet
und verhärtet werden sollen, daß sie ,,der Lüge glauben,
auf daß sie gerichtet werden sollen." Wir müssen dabei aber
bedenken, daß es auch nichts Geringes ist, was sie gegen den
großen Herrn begangen haben, als sie Seiner freien Gnade
widerstanden und sie verachteten. Sie hörten z. B. nicht
nur Sein Wort in der deutlichsten Weise verkündigen, sondern
sahen auch das Werk Seines Geistes im Lande an der Bekehrung
vieler Menschen, widerstanden aber der darin liegenden
kräftigen Warnung. Während sie vielleicht auch Sein
zärtliches Klopfen an ihren eigenen Herzen fühlten, haben
sie aber doch alles verachtet und sind zur Welt und ihrer
Eitelkeit gegangen.
Einer solchen erschrecklichen Gottesverachtung muß auch ein
so erschreckliches Gottesgericht folgen. Gott ist größer
als der Mensch. Es ist gewiß entsetzlich, daß Menschen
verlorengehen werden; es ist aber nicht weniger entsetzlich,
daß der große Gott verachtet und verspottet wird. Es wird
gewiß ein erschrecklicher Anblick sein, wenn der Richter am
Jüngsten Tag die Unseligen in die ewige Pein hinwegweisen
wird. Aber dann wird Gott den Gerechten so groß und so
herrlich sein, daß sie die Bosheit der Unbußfertigen nicht
für geringer als ihre Strafe halten werden, so daß sie unter
unaussprechlicher Verwunderung über die große Gnade und
Langmut Gottes, die sie trotz aller ihrer Sünde und
Unwürdigkeit errettet hat, hinsichtlich der Unseligen die
Gerechtigkeit Gottes bekennen und sprechen werden: ,,Herr,
allmächtiger Gott, Deine Gerichte sind wahrhaftig und
gerecht!" Das müssen wir bedenken, wenn kräftige Irrtümer
diejenigen irreführen, die die Wahrheit zwar gehört, aber
verachtet haben. Das Strafgericht ist entsetzlich, aber
nicht größer als ihre Versündigung. Wenn uns Gottes
Strafgericht zu hart zu sein scheint, rührt dies nur
daher, daß wir Gott nicht für so groß halten, wie Er ist.
Lassen wir Ihn aus den Augen,
Finden wir was andres gut,
So erfahren wir gewiß,
Unser Licht sei Finsternis,
Unser Helfen sei Verderben,
Unser Leben lauter Sterben.