Jes 9,15
J.Kroeker
Von seinen Gerichten.
"Die Führer dieses Volkes sind seine Verführer geworden,
und die von ihnen Geführten sind verloren." Jes. 9,15.
Dies Prophetenwort war je und je das gewaltige Mene Tekel
über alle Verantwortlichen innerhalb der Geschichte, die da
glaubten, das Schicksal ihres Volkes ohne Verantwortung Gott
gegenüber gestalten zu können. Ob es Älteste des Volkes oder
Hochangesehene in der herrschenden Gesellschaft, oder
Propheten innerhalb des Kultuslebens sind, lassen sie sich
in ihrer Führung nicht mehr durch das Licht der Offenbarung
dienen und verleugnen sie die ethischen Grundlagen im Aufbau
der Kultur und in der Sicherung der Zukunft, dann sieht sich
ein Volk und Land gerade durch sie wie im gegenwärtigen
russischen Kulturbolschewismus zugrunde gerichtet. Das
Ergebnis ist jener chaotische Gesamtzustand, wo sich zwar
hoch und niedrig zur Wahrung gemeinsamer Interessen
zusammenschließen, ihren Leidenschaften edle Motive
zugrunde legen, ihrem Handeln den Schein des Erhabenen und
Majestätischen zu geben suchen, wo aber über allem dennoch
der Fluch des Verderbens liegt. "Er schneidet zur Rechten
und hungert, er isst zur Linken, aber gesättigt werden sie
nicht, jeder verzehrt seines Armes Fleisch, Manasse gegen
Ephraim und Ephraim gegen Manasse, einig sind sie nur gegen
Juda." Im russischen Kulturbolschewismus war man sich so
lange einig, als es galt, revolutionär die alten Ordnungen zu
untergraben und im gegebenen Augenblick zu stürzen. Als dies
errungen war, "feierte der schroffste Egoismus seine Orgien,
- jeder suchte so viel wie möglich zu erhaschen und bedachte
nicht, dass, indem er des Bruders Ruin herbeiführte, er den
Arm lähmte, der ihn selbst vielleicht noch stützen könnte.
Der Bruderkrieg entbrennt, Ephraim und Manasse, diese Kinder
eines Stammes, zerfleischen sich gegenseitig und vereinigen
sich nur, wenn es gilt, gegen jene vorzugehen, die noch, wie
damals Juda, wagen, auf Grund göttlicher Rechtsordnung ihr
Leben aufzubauen.
Gottes Gerichte in der Geschichte können mithin furchtbar
ernst sein. Ja, Gott kann sie mit unerbittlicher Konsequenz
innerhalb jenes Volkes durchführen, das in seiner Verstockung
für das Gericht ausgereift ist. Katastrophen und Gerichte
von weltgeschichtlicher Bedeutung hatten immer eine
entsprechende allmähliche Vorbereitung. So plötzlich die
Katastrophe auch eines Tages kam, die Zeiten, bis ein
Volk für sie heranreifte, umfassten nicht nur Jahrzehnte,
sondern oft Jahrhunderte. Auch in der Geschichte und in der
Entwicklung der Völker muss erst zur Reife gelangen, was
Geschlechter vorher gesät haben, bevor die Ernte beginnt, die
offenbar macht, was als Frucht fürs Leben, und was als Spreu
fürs Gericht ausgereift ist.