Hl 5,16
C.H.Spurgeon
,,Ganz lieblich: ein solcher ist mein Freund."
Hohel. 5, 16.
Die unaussprechliche Liebenswürdigkeit und Schönheit Jesu ist
allüberwindend; sie reizt nicht so sehr zur Bewunderung wie zur
Liebe. Er ist mehr als schön und herrlich anzuschauen; Er ist
lieblich. O gewiß, das Volk Gottes kann den Gebrauch dieses
goldenen Wortes völlig rechtfertigen, denn Er ist der Gegenstand
seiner heißesten Liebe, einer Liebe, die auf der tief-innersten
Vortrefflichkeit seines Wesens beruht, auf der höchsten
Vollkommenheit seiner reizenden Vorzüge. Schau, o Jünger Jesu,
auf deines Herrn Lippen und sprich: ,,Ist nicht sein Mund ganz
lieblich?" Brennt nicht unser Herz in uns, wenn Er mit uns redet
auf dem Wege? Die ihr meinen Immanuel anbetet, hebt euren Blick
empor zu seinem Haupt, dem Haupt vom feinsten Golde, und sagt
mir, ob seine Gedanken euch nicht köstlich sind? Zerschmilzt eure
Verehrung nicht in Liebesseligkeit, wenn ihr euch in Demut beugt
vor seiner Gestalt, einer Gestalt wie Libanon, auserwählt wie
Zedern? Wogt nicht ein Zauber durch jedes Glied seines Leibes,
und duftet nicht sein ganzes Wesen vom Wohlgeruch seiner edeln
Salben, daß die Jungfrauen Ihn lieben müssen? Ist ein Glied
seines herrlichen Leibes ohne reizende Schönheit? Ist ein Teil
seiner Person, der nicht ein neuer Magnet für uns wäre? Ist eine
Bewegung, deren Anmut nicht aufs neue unser Herz mit festen
Seilen bände? Unsre Liebe ist nicht nur wie ein Siegel, auf sein
Liebes-Herz gesetzt; es ist auch auf seinem Allmachtsarm
befestigt; es ist nichts an Ihm, was uns nicht mit Liebe gegen
Ihn erfüllte. Wir salben seine ganze Gestalt mit der lieblichen
Narde unsrer inbrünstigen Liebe. Wir möchten sein ganzes Leben
in uns auswirken; sein ganzes Gemüt möchten wir in unsre Seele
abschreiben. In jedem andern Wesen sehen wir irgend einen
Mangel; Er ist ganz Vollkommenheit, alles an Ihm ist Vollendung.
Auch der beste seiner vorzüglichsten Heiligen hat Flecken auf
seinem Gewande und Runzeln an seiner Stirn; aber Er ist ganz
Lieblichkeit, nur Lieblichkeit! Alle Sonnen der irdischen
Schöpfung haben ihre Flecken; die schöne Welt selber hat ihre
Wildnisse und Wüsten; wir können das liebenswürdigste Wesen wohl
im ganzen lieben, aber Jesus Christus ist durchläutertes Gold,
Licht ohne Dunkel, Glanz ohne Schatten, Herrlichkeit ohne
Wolken, ja, ,,ganz lieblich: ein solcher ist mein Freund."
,,O, Du Liebe meiner Liebe!"
C.H.Spurgeon
Christus, "ganz lieblich."
»Er ist ganz lieblich. Ein solcher ist mein Freund.«
Hoh.5,16.
Die Brautgemeinde, die ihren himmlischen Bräutigam "ganz
lieblich" nennt, bezeugt damit, daß nichts an Ihm ist, was sie
nicht bewundern müßte. Mag die Welt über sein Kreuz spotten,
und es eine Schmach nennen - für die Braut ist es der Kern und
Stern ihrer Herrlichkeit. Ein stolzes und hochmütiges Volk
mochte seinen König verschmähen um Seiner Krippe willen, und
Seiner Armut sich schämen; aber in ihren Augen ist der Fürst
unter den Fürsten über Alles herrlich in Seiner Niedrigkeit.
Für sie ist Er allezeit voller Schönheit, sein Gesicht nie
entstellt, Seine Herrlichkeit nie befleckt. Sie drückt Seine
durchgrabenen Füße an ihr Herz und schaut auf Seine Wunden als
auf edles Geschmeide. Die Rotte der Gottlosen umsteht sein
Kreuz und kann nur höhnen und spotten; die Braut aber empfindet
nichts als ehrfurchtsvolle Anbetung und unermeßlichen Grund der
Liebe. Mag sie Ihn betrachten nach Amt oder Stellung oder
Verwandtschaft, nirgends vermag sie einen Flecken zu entdecken;
der leiseste Gedanke an Unvollkommenheit ist in Wahrheit
gänzlich verbannt. Sie erkennt Seine vollkommene Göttlichkeit
wie Seine unbefleckte Menschheit allzugut, um dem Gedanken an
den geringsten Tadel Seiner makellos reinen Person auch nur
einen Augenblick Raum zu geben; sie verabscheut jede Lehre,
die Ihn erniedrigt; sie verabscheut das prunkvollste Gewand,
welches die edlen Züge Seiner seligen Gestalt verdunkeln
könnte; ja sie eifert so sehr um Seine Ehre, daß sie nichts
hören mag von irgendeinem Geist, der nicht mit in Sein Lob
einstimmt. Die leiseste Andeutung, daß Seine Menschwerdung
nicht unbefleckt, Seine Heiligkeit nicht makellos sein
möchte, bringt eine heilige Entrüstung über ihr Gemüt, und
augenblicklich würde sie solche Irrlehre verdammen und
rücksichtslos verurteilen. Nichts hat ja die Entrüstung
der Brautgemeinde so heftig erregt, wie ein Wort gegen ihr
geliebtes Haupt. In den Augen aller wahren Gläubigen ist dies
Hochverrat und eine teuer zu ahndende Beleidigung. Jesus ist
untadelig und fleckenlos, "ganz lieblich ist Er." Und doch ist
dieses bloß verteidigende Lob, diese kräftige Zurückweisung
jedes Tadels weit davon entfernt, die ganze Fülle der liebenden
Bewunderung Seiner Gemeine ans Licht zu stellen. Der Herr
Jesus ist ganz L i e b l i c h k e i t in ihren Augen. Nicht
nur angenehm, nicht nur schön, sondern Seine Schönheit und
Liebenswürdigkeit zieht die Liebenswürdigsten unwiderstehlich
zu sich, und seine Herrlichkeit entzückt das Herz aufs
Höchste. Es blickt die Liebe aus diesen "Taubenaugen an den
Wasserbächen, mit Milch gewaschen, und stehen in der Fülle,"
sie strömt von diesen "Lippen wie Rosen, die von fließenden
Myrrhen triefen," sie funkelt von diesen "Händen wie goldene
Ringe voll Türkisen."
Aber obgleich diese Äußerungen der Brautgemeinde der
höchstmögliche Ausdruck alles Lobes sind, und das Unmöglichste
und Köstlichste schildern sollten, was je dem menschlichen
Worte auszusprechen möglich wäre, so ist's doch unmöglich,
daß dieser Ausdruck, und würde er noch so tief erfaßt und
noch so herrlich ausgelegt, mehr auszudrücken vermöchte als
einen unbedeutenden Teil der empfundenen Bewunderung. Dieser
Ausspruch überragt wie ein Enakskind alle anderen, aber seine
Größe reicht noch lange nicht an die gewaltige Höhe der
himmelgeborenen Liebe. Er ist nur ein schwaches Gleichnis
unaussprechlicher Liebesseligkeit; eine auserlesene Perle,
die aus dem tiefen Meer der Liebe ans Ufer gespült ward.
W.MacDonald
»Alles an ihm ist begehrenswert. Das ist mein Geliebter und
das mein Freund, ihr Töchter Jerusalems!« Hohelied 5,16
Die hingebungsvolle, treue, unerschütterliche Liebe Sulamiths
zu ihrem Geliebten ist ein Bild für die Art von Liebe, die
wir dem Ewigen Liebhaber unserer Seelen entgegenbringen
sollten. Dabei müssen wir die folgenden Besonderheiten
beachten. Erstens liebte sie an ihm alles. Sie besang die
Schönheit seines Gesichtes, des Kopfes und des Haares, der
Augen, Wangen und Lippen, der Hände, des Körpers, der Beine,
der Haltung und des Mundes (s. Hohelied 5,10-16). Für uns
geht es natürlich nicht um die äußerlichen Kennzeichen des
Herrn Jesus, aber wir sollten uns genauso ausführlich und
begeistert äußern, wenn wir Seine Vorzüge preisen. Sie
dachte Tag und Nacht an ihn. Ob sie im Weinberg arbeitete
oder sich zum Schlafen niederlegte, ja selbst noch, wenn sie
träumte, war er der einzige, der ihre Phantasie beflügelte
und ihre Gedanken beschäftigte. Auch für uns ist es gut,
wenn unsere Liebe zu dem Herrn Jesus so groß ist, daß Er
unsere Herzen von morgens bis abends ausfüllt. Sie hatte nur
Augen für ihn. Andere mochten vielleicht versuchen, ihr den
Hof zu machen und sie mit Worten glühender Bewunderung für
sich zu gewinnen, aber sie bezog diese Lobsprüche gar nicht
auf sich, sondern wendete sie auf ihren Geliebten an. Darum
sollten auch wir sagen, wenn die Welt versucht, uns zu
verlocken: »lch bin durch die Welt gegangen, und die Welt
ist schön und groß, und doch zieht mein Verlangen mich weit
von der Erde los... Es ist eine Ruhe gefunden für alle fern
und nah in des Gotteslammes Wunden am Kreuze auf Golgatha.«
Sie redete bereitwillig von ihm. Ihr Mund sprach aus, wovon
ihr Herz überfloß. Ihre Lippen waren wie der Griffel eines
geübten Schreibers (Psalm 45,1). Wir sollten eigentlich auch
über unseren Herrn bereitwilliger und beredter sprechen
können als über jedes andere Thema. Leider ist das bei uns
nicht immer so. Sie empfand ihre eigene Unwürdigkeit sehr
intensiv. Sie entschuldigte sich für ihr ungepflegtes
Äußeres, für ihre Schlichtheit, dafür, daß sie nicht
gleich auf den Geliebten reagierte. Wenn wir an unsere
Sündhaftigkeit denken, an unsere Neigung, von Gott
wegzulaufen, an unseren Ungehorsam, dann haben wir noch viel
mehr Grund, uns darüber zu wundern, daß Christus sich
überhaupt für uns interessiert hat. Ihr größtes Vergnügen
war es, mit ihm zusammen zu sein. Sie sehnte sich glühend
nach dem Augenblick, in dem er kommen würde, um sie als seine
Braut zu sich zu holen. Mit wieviel größerem Verlangen
sollten wir uns auf die Wiederkunft des himmlischen
Bräutigams freuen, damit wir in alle Ewigkeit mit Ihm
zusammen sein können! In der Zeit bis dahin war ihr Herz wie
ein hilfloser Gefangener, und sie bekannte, daß sie vor Liebe
ganz krank wäre. Sie konnte die Sehnsucht fast nicht mehr
ertragen. Wir wollen danach trachten, daß auch unser Herz
gefangengenommen wird von Jesus und bis zum Überlaufen mit
der Liebe zu Ihm erfüllt wird!