Hohelied

Hl 5,4 C.H.Spurgeon ,,Mein Freund steckte seine Hand durchs Fenster, und mein Innerstes erzitterte davor." Hohel. 5, 4.

Das Anklopfen genügte noch nicht, denn meine Augen waren zu voll Schlafs; zu kalt und zu undankbar war ich, um aufzustehen und die Tür aufzutun, aber die Berührung seiner wirksamen Gnade hat meine Seele munter gemacht. Ach, wie langmütig ist doch mein Freund, daß Er noch bleibt, wenn Er sich ausgeschlossen findet und mich schlafend trifft auf dem Bett der Trägheit! O, wie groß ist doch seine Geduld, daß Er immer und immer wieder anklopft, und daß Er mit seinem Anklopfen zugleich noch seine Stimme erhebt und mich bittet, Ihm aufzutun! Wie ist es nur möglich, daß ich Ihn abweisen konnte! Niederträchtiges Herz, schäme dich und vergehe! Aber welch eine alles übertreffende Güte ist doch das, daß Er selbst zum Pförtner wird und die Tür öffnet! Dreifach gesegnet ist die Hand, die sich herabläßt, die Klinke zu drücken und den Schlüssel aufzudrehen! Nun begreife ich, daß nichts als die selbsteigne Macht meines Herrn imstande ist, solch einen elenden, erbarmungswürdigen Wurm, wie ich bin, zu erretten; alle Heilsmittel bleiben wirkungslos, selbst das Evangelium vermag nichts über mich, bis daß Er seine Hand ausstreckt. Nun begreife ich auch, daß seine Hand heilsam ist, wo alles andre wirkungslos bleibt; Er kann öffnen, wenn nichts sonst wirkt. Gelobt sei sein Name, daß ich auch in diesem Augenblick seine Gnadengegenwart spüre. Wohl mag mein Innerstes davor zittern, wenn ich daran denke, was Er alles für mich erduldet hat, und wie ich mich so treulos wieder von Ihm abwandte. Ich habe andre Götter neben Ihm gehabt. Ich habe Ihn betrübt. O Du lieblichster und teuerster aller Freunde, ich bin mit Dir umgegangen, wie ein treuloses Weib mit ihrem Mann. Ach, meine schrecklichen Sünden, meine entsetzliche Selbstsucht! Was soll ich Tun? Tränen sind zu armselig, um meine Reue zu bezeugen, mein ganzes Herz wallt von Unwillen über mich selbst. Ich Elender, daß ich meinen Herrn, mein ein und alles, meine unaussprechlich große Freude so behandeln konnte, wie wenn ich Ihn nicht kennte. Herr Jesu, Du vergibst gern; aber das ist noch nicht genug, bewahr mich in Zukunft vor aller Treulosigkeit. Küsse diese Tränen hinweg, und dann halte mein Herz fest, daß es Dich nie wieder verliere.