Pred 7,16
C.H.Spurgeon
Verborgene Sünden.
David, der Gottes Gesetz erkannte und im 19. Psalm dasselbe
gepriesen hat, wurde veranlaßt, über die Vortrefflichkeit
dieses Gesetzes nachzudenken und den Gedanken auszusprechen:
"Wer kann merken, wie oft er fehlet?" und dann zu beten:
"Vergib mir meine verborgenen Fehler."
Doch wie töricht sind die Menschen, wenn sie glauben, etwas
im geheimen tun zu können. Diese Welt gleicht den gläsernen
Bienenstöcken, in welchen die Bienen bisweilen arbeiten; wir
blicken auf sie hinab und sehen die Tätigkeit der kleinen
Geschöpfe. So schaut Gott, der allsehende Gott, herab auf uns.
O! der Gedanke: "du, Gott, siehst mich!" wäre hinreichend, um
uns alle von der Sünde zurückzuhalten.
Halt, Dieb, laß fallen, was du gestohlen hast, Gott sieht dich!
Flucher! Niemand hörte deinen Fluch; aber Gott hat ihn gehört.
Und du, der du ein unreines Leben führst, und doch bei den
Menschen einen guten und ehrenwerten Namen hast, deine
Untugenden sind alle bekannt; sie sind in das Buch Gottes
eingeschrieben.
Er hält ein Tagebuch von allen deinen Taten; was willst du
denken an jenem Tag, wo Gott dein geheimes Leben aus seinem
Buch vorlesen wird vor Menschen und Engeln? Ich bin überzeugt,
keinem von uns würde es erwünscht sein, wenn man alle unsere
Geheimnisse, selbst unsere geheimen Gedanken öffentlich
vorlesen würde. Wie wirst du dann, o Sünder, erschrecken,
wenn deine geheimen Lüste und Übertretungen, deine geheimen
Verbrechen von Gottes Mund publiziert und mit mehr als tausend
Donnerstimmen in die ganze versammelte Welt hinein verkündigt
werden?
O, darum gib die törichte Hoffnung des Verborgen-sein-wollens
auf, denn deine Sünde wird heute eingeschrieben und wird einst
auf allen Mauern des Himmels angezeigt werden.
Wenn ich ein gottloser Mensch sein muß, so will ich lieber
als ein schreiender Sünder am offenen Tage sündigen und kein
Heuchler sein; ich will lieber dem Teufel ganz dienen, als ihn
durch Heucheln betrügen. Die verdammte Heuchelei hat die Kirche
Gottes gelähmt und ihr die Nerven abgeschnitten. O! in wie
manchen Orten haben wir Leute, die man bis an den Himmel
erheben möchte, wenn man ihren Worten glauben wollte, aber
die man in den tiefsten Abgrund werfen müßte, wenn man ihre
geheimen Handlungen sehen könnte.
Ich kann einem Menschen vergeben, welcher offen lärmt und tobt,
sich aber nicht für besser ausgibt; aber ein Mensch, welcher
kriecht, heuchlerisch redet, betet und dann in Sünden lebt, ist
mir unerträglich. Wenn er sich wendet von seinen bösen Wegen,
will ich ihn lieben, aber in seiner Heuchelei ist er mir die
ekelhafteste Kreatur.
Willst du entschieden dem Satan dienen, so gib nicht vor, daß
du Gott dienst; und wenn du Gott dienst, so diene Ihm von
ganzem Herzen. Niemand kann zwei Herren dienen; versuche es
nur nicht, denn kein Leben wird elender sein als dieses.
Eine Gefahr ist, daß man keine kleine Sünde im verborgenen
begehen kann, ohne nach und nach zur offenbaren Sünde verleitet
zu werden. Man kann, obgleich man es meint, im Sündigen nicht
Maß halten. Wenn du Eine Sünde begehst, so verhält es sich wie
mit dem Schmelzen der unteren Gletscher auf den Alpen; die
anderen Gletscher müssen bald nachfolgen. Die Sünde kann nicht
mit Zaum und Gebiß aufgehalten werden.
Wer da sagt: "Ich will nur dann und wann einen kleinen Trunk zu
mir nehmen, ich will mich nur einmal in der Woche betrinken, es
wird ja niemand sehen, und ich kann ja gleich zu Bett gehen,"
wer so spricht, der wird sich bald in den Lokalen betrinken.
Wer da sagt: "Ich will nur Ein leichtfertiges Buch lesen, ich
will es sogleich verbergen, wenn jemand hereinkommt," wer so
redet, der wird bald seine Büchersammlung voll von gottlosen
Büchern haben.
Ein anderer sagt: "Ich will nur dann und wann in diese und jene
Gesellschaft gehen." Aber in kurzer Zeit geht er alle Tage
dorthin - einen solch bezaubernden Charakter hat die Sünde. Du
könntest ebensowohl den Löwen bitten, dich deine Hand in seinen
Rachen legen zu lassen. So wenig du aber seine Klauen
beherrschen oder in der Ordnung halten kannst, so wenig kannst
du die Sünde im Zaum halten. Folge ihr einmal, und du kannst
nicht sagen, wann du zugrunde gehen wirst. Es ist ein zu großes
Wagnis.
Überdies wird der Mensch, der der Sünde im verborgenen
nachhängt, immer verhärteter. Bei der ersten Sünde, die er
sich zu Schulden kommen ließ, lagerten sich Schweißtropfen auf
seiner Stirne bei der Erinnerung an das Begangene. Das zweite
Mal hatte er keinen Schweiß mehr auf seiner Stirne, sondern
nur eine Unruhe der Muskeln; das dritte Mal war keine Unruhe,
sondern nur ein schlauer, düsterer Blick in seinem Angesicht;
das nächste Mal ging die Sünde noch etwas weiter; und nach und
nach wurde der arme Mensch ein frecher Lästerer seines Gottes
und konnte ausrufen: "Wer bin ich, daß ich Jehova fürchten, und
wer ist Er, daß ich Ihm dienen sollte?"
Und nun, teure Freunde, laßt mich euch bitten und ermahnen, die
verborgenen Sünden zu verleugnen. Warum hinken wir zwischen
zwei Dingen? Mancher ließe sich fast überreden, daß er ein
Christ würde; er will Gott dienen, aber er will die Sünde nicht
aufgeben. Aber es gibt nur zwei Wege - entweder hab deine Sünde
und gehe zur Hölle, oder laß deine Sünde und gehe in den
Himmel. Einen von beiden Wegen muß der Mensch wählen - entweder
kurzes, vorübergehendes Glück in dieser Welt und hernach ewiges
Weh und Pein, oder aber kurze Pein in Überwindung der Sünde in
dieser Welt und hernach gründlichen Frieden und ewige Freude
und Herrlichkeit.