Spr 11,25
C.H.Spurgeon
,,Die Seele, die da reichlich segnet, wird fett."
Spr. 11, 25.
Hier wird uns die große Wahrheit verkündigt, daß wir geben
müssen, wenn wir wollen empfangen; daß wir ausstreuen müssen,
wenn wir sammeln wollen; daß wir andre müssen glücklich machen,
wenn wir selber wollen glücklich werden, und daß wir müssen das
geistliche Wohl der andren suchen, wenn wir selber geistlich
erstarken wollen. ,,Die Seele, die da reichlich segnet, wird
fett; und wer trunken macht, der wird auch trunken werden." Wie
so das? Unsre Anstrengung, andern nützlich zu sein, entwickelt
unsre Kräfte zum gesegneten Wirken. Wir besitzen verborgene
Pfunde und schlummernde Fähigkeiten, welche durch die Übung ans
Licht treten. Unsre Kraft zur Arbeit bleibt uns selber
verborgen, bis wir uns hinauswagen zum Kampf im Kriege des
Herrn, oder bis wir den Mut haben, die Berge der Schwierigkeiten
zu besteigen. Wir wissen nicht, welch zartes Mitleid in uns
wohnt, bis daß wir suchen der Witwe Tränen zu trocknen und des
Waisen Leid zu lindern. Oft erfahren wir, daß, indem wir andre
belehren, wir für uns selber reichere Erkenntnis erwerben. O,
was für seligen Unterricht haben unser etliche an Kranken- und
Sterbebetten empfangen! Wir kamen hin, um das Wort der Schrift
zum Trost zu bringen, und gingen fort, beschämt über unser
geringes, unzureichendes Wissen. In unserm Gespräch mit armen
Heiligen lernen wir die Wege Gottes gründlich kennen, und
empfangen eine tiefere Einsicht in die göttliche Wahrheit. So
kommt's, daß, wenn wir andre ,,reichlich segnen," wir demütiger
werden. Wir entdecken, wieviel Gnade sich gerade da findet, wo
wir's am wenigsten erwarteten, und wie oft der arme Gläubige uns
an Erkenntnis der Wahrheit überbietet. Auch unser Trost wird
vermehrt, wenn wir uns für andre bemühen. Wir suchen sie
aufzurichten, und das Trostwort erquickt unser eignes Herz. Es
geht uns wie den beiden Menschen im Schneegebirge; einer deckte
des andren Glieder mit Schnee zu, damit er ihn vor dem Tode des
Erfrierens schütze, und bei dieser Arbeit erhielt er sein eignes
Blut in Bewegung, und rettete so zugleich sein eignes Leben. Die
arme Witwe zu Sarepta gab von ihrem dürftigen Vorrat dem
Propheten Speise, und von dem Tage an wußte sie nichts mehr von
Mangel. ,,Gebet, so wird euch gegeben. Ein voll gedrückt,
gerüttelt und überflüssig Maß wird man in euren Schoß geben."
D.Rappard
Wer reichlich tränket, wird auch getränket werden.
Spr. 11,25.
Geben ist seliger denn Nehmen. Dieses Heilandswort, das
nicht in den Evangelien, sondern vom Apostel Paulus in
seiner Abschiedsrede in Milet angeführt wird (Apg. 20, 35),
enthält eine große Wahrheit. Es sagt nicht nur, daß Geben mehr
Freude bereitet als Empfangen; nein, es deutet an, daß das
wahre Geben geradezu der Weg ist zum Nehmen. In dem Maß
als einer sich selbst, seine Mühe, seine Liebe für eine Sache
hingibt, erhält er davon Frucht und Segen.
Das Bächlein, das seine Wellen unablässig spendet, erhält
stets neuen Zufluß von der Quelle; der Teich, der sein Wasser
für sich behält, versumpft und vertrocknet. - Die Violine des
Virtuosen Paganini wurde seiner Vaterstadt Genua vermacht
mit dem verhängnisvollen Vermerk, es dürfe niemand darauf
spielen. Die Folge war, daß das Instrument wurmstichig und
unbrauchbar geworden ist. Beim Gebrauch hätte es noch Jahre
lang herrlich erklingen können; weil man es erhalten wollte,
hat man es verloren.
O daß wir das richtige Geben, das r e i c h l i c h e T r ä n k e n
recht verstünden! Bist du durstig, so suche einen Durstigeren
zu erquicken. Die Witwe von Sarepta gab ihren ganzen Vorrat
von Öl und Mehl dahin, und indem sie alles gab, erhielt sie
alles.
Herr, der Du uns Armen alles so reichlich
gibst, lehre mich das selige Geheimnis, zu geben
und zu nehmen nach Deinem Sinn.