Spr 3,12
S.Keller
Sprüche 3, 12: «Denn welchen der Herr liebt, den straft er,
und hat doch Wohlgefallen an ihm wie ein Vater am Sohn.»
Der erste Teil dieses Spruchs wird viel im Munde geführt -
oft mit ziemlich schiefer Begründung -, aber der
wunderschöne, zweite Teil ist mir noch nie in einem
Andachtsbuch oder in der Unterhaltung mit Christen begegnet.
Während noch im Leben des Gotteskindes auf Erden die
peinliche Zucht dauert, so daß leibliches oder familiäres
Leiden oder seelischer Druck auf ihm lastet, kann doch ein
Wohlgefallen des himmlischen Vaters auf ihm ruhen. Das Kind
kommt durch die Strafe näher zum Vater. Haben wir das bei
unseren Kleinen nicht oft beobachtet? Noch brennt die
geschlagene Stelle, noch strömen die Tränen, noch klopft das
kleine Herz in großer Erregung - aber wo ist das gestrafte
Kind selbst? Es birgt sein heißes Gesicht an unserer Brust,
es klammert sich an uns an und will uns um so lieber haben.
Soll man daran nicht sein Wohlgefallen haben? Das eigene,
liebe, geschlagene Kind lohnt einem die Zucht mit um so
zärtlicherer Liebe. Gotteskind, das soll dein Trost sein
mitten unter den schmerzhaften Erfahrungen seiner Zucht -
doch hat er Wohlgefallen an dir wie ein Vater am Sohne!
Sonst würde er sich diese Mühe im einzelnen und kleinen
gar nicht geben.
Schlägst du mich, mein Vater im Himmel, so flüchte ich erst
recht zu dir! Wo soll ich denn hin, wenn nicht zu dir? Hilf
mir an deine heilige, ernste und doch so heiße Liebe glauben,
auch wenn der Schlag noch schmerzt. Amen.