Ps 119,176
D.Rappard
Ich bin wie ein verirrt und verloren Schaf; suche
Deinen Knecht; denn ich vergesse Deiner Gebote nicht.
Psalm 119,176.
Ist dies nicht ein seltsames Gebet? Täte das verirrte Schaf
nicht besser, sich aufzumachen und den Hirten zu suchen?
O nein! Das Gebet zeugt von innerer Erfahrung, gelernt in der
Schule der Demut, und ist darum ein weises und berechtigtes.
Ein verlorenes Schaf, - das weiß jeder Kenner - findet
sich nie wieder zur Hürde zurück. Es hat nicht den Instinkt
des Hundes. Ist es einmal auf falscher Fährte, so irrt es immer
weiter fort. Es kann nichts anderes und nichts besseres tun als
s c h r e i e n. Und der Hirte, der es gewiß schon sucht, eilt
herbei und trägt es heim.
In einem Bergdorf wurde einst ein kleiner Junge vermißt. Mit
Angst suchten es Eltern und Nachbarn, lange Zeit vergebens.
Da hörte jemand aus einer Schlucht einen klagenden Ton, trat
näher und vernahm den Ruf: ,,I c h b i n v e r l o r e n!"
Es war die Stimme des kleinen Jungen. So wurde er gefunden.
Lieber Leser, fühlst du vielleicht gerade heute etwas von
solchem Verlorensein? Suche nicht dich selbst aus deiner Lage
zu befreien. Rufe wie der Psalmist: Herr, s u c h e m i c h!
Ich bin ja doch Dein. Laß mich Deine Fußtritte vernehmen,
Deine Stimme hören! Komm, und laß mich ruhen in Deinen Armen!
Herr, warum bist Du fern von mir?
Mein ganzes Herze schreit nach Dir.
Du weißt, wohin ich mich verirrt:
O suche mich, mein treuer Hirt.