Ps 73,17
A.Christlieb
Wie man von der Unzufriedenheit geheilt wird
»Es verdroß mich der Ruhmredigen, da ich sah, daß es den
Gottlosen so wohl ging . . . bis daß ich ging in das
Heiligtum Gottes . . . Wenn ich nur dich habe, so frage
ich nichts nach Himmel und Erde« (Ps. 73, 3.17.25).
Wir leben in einer Zeit, wo die Unzufriedenheit bei vielen
eine große Gefahr ist. In solcher Zeit ist es doppelt
lehrreich, an einem biblischen Beispiel zu beobachten, wie
man aus dem Geist der Unzufriedenheit herauskommen kann.
Asaph, der Sänger des 73. Psalms, gibt uns ein solches
Beispiel.
1. Wir sehen den unzufriedenen Asaph
Asaph war dadurch in eine unzufriedene Herzensstellung
gekommen, daß sein Auge und sein Gedankenleben an dem äußeren
Glück so mancher Gottlosen hängengeblieben war. Er
beobachtete die »Ruhmredigen« (V. 3), ihr stolzes Auftreten,
ihre Macht, ihren Reichtum und ihr Wohlleben. Das erfüllte
ihn mit Unwillen. Gedanken des Ärgers und Neides, Zweifel an
Gottes gerechter Weltregierung drohten den Frieden seiner
Seele zu zerstören. Es ist lehrreich, daß diese Anfechtung
durch das Auge ihren Weg in Asaphs Herz hineinfand: »Ich sah,
daß es den Gottlosen so wohl ging.«
Wenn unsere Augen nur auf gewissen Zuständen auch in unserer
Zeit haften, so können auch wir in innere Verwirrung
hineinkommen. Was für Verhältnisse muß mancher Gerechte auch
heute noch beobachten! Wie manchmal scheint die Lüge zu
triumphieren über die Wahrheit! Wie manchmal bringt es der
gewissenlose Mensch viel weiter als der gewissenhafte! Wie
mancher gewandte Schmeichler versteht es, das Urteil des
Vorgesetzten zu trüben, sich in Gunst zu setzen und einen
lauteren, ehrlichen Menschen in den Schatten zu stellen und
zurückzudrängen! Es ist für manche Gerechte keine
Kleinigkeit, solche Dinge täglich anschauen zu müssen.
Da ist ein gläubiger Christ in untergeordneter Stellung,
der sehen muß, wie ein ungerechter Vorgesetzter sich alles
erlauben darf, gemächlich lebt, ungeheures Einkommen hat und
nichts nach Recht und Gerechtigkeit fragt. Noch heute laufen
sie zu Tausenden auf der Erde herum, die »sich brüsten wie
ein fetter Wanst« (V. 7), die »reden und lästern hoch her«
(V. 8), die »tun, was sie nur gedenken« (V. 7). Wahrlich,
wir können es begreifen, wie sogar ein so frommer Mann wie
Asaph von dem Geist der Unzufriedenheit gepackt und eine
Zeitlang fortgerissen wird.
Aber bei wahren Gotteskindern kann es nicht so bleiben.
2. Wir sehen den ins Heiligtum gehenden Asaph
Solange Asaph nur auf das Wohlleben der stolzen Weltkinder
blickte, kam er nicht zurecht. Auch alles Nachdenken half
ihm nicht aus den Schlingen des unzufriedenen Gewissens
heraus (V. 16). Aber etwas anderes half: ein Gang in das
Heiligtum Gottes. In das Heiligtum Gottes pflegten die
Frommen des Alten Bundes zu gehen, um Gemeinschaft mit
Gott zu haben im Gebet und im Betrachten seines Wortes.
Dorthin ging Asaph, und hier kam er zurecht. Die finsteren
Wolken des unzufriedenen Geistes mußten weichen, er empfing
göttliches Licht über sich selbst, über die Torheit seiner
verdrießlichen Gedanken (V. 21 u. 22) und über die Person
und das Schicksal derer, die ihn so sehr in Verwirrung
gebracht hatten.
Sein Blick wurde geweitet, daß er nicht mehr bei dem kurzen,
vergänglichen Glück stehenblieb, sondern das traurige, letzte
Ende der Gottlosen mit in Betracht zog. Da, wo Asaph aus der
Verwirrung herauskam, können auch wir ihr entrinnen. Gottlob
gibt es auch für uns allenthalben ein Heiligtum Gottes, in
das wir uns mit allen Klagen und Anfechtungen zurückziehen
dürfen, aus dem wir nicht leer zurückkommen sollen.
Ein Studiengenosse des gewaltigen Zeugen Ludwig Hofacker
(1798-1828) erzählt uns, wie dieser sich oft als Student,
in Ermangelung eines anderen Gebetsplatzes, in einen
Holzschuppen zurückgezogen habe; von hier sei er oft mit
leuchtendem Antlitz herausgekommen.
Laßt uns irgendwo solch ein Heiligtum Gottes aufsuchen und
benutzen! Dort weicht die Unzufriedenheit.
3. Wir sehen den zufriedenen Asaph
Welch eine Änderung hat doch der Gang in das Heiligtum bei
Asaph hervorgerufen! Zwar waren die Zustände noch dieselben
geblieben; die Gottlosen trieben ihr stolzes, freches Wesen
nach wie vor, aber Asaph konnte sie jetzt anders ansehen.
Nicht mehr mit den Augen des Neides oder des Unwillens,
sondern mit tiefem Mitleid schaute jetzt der Sänger auf jene
hochmütigen, frechen Menschen. Gott hatte ihm etwas Besseres
gezeigt, was ihn triumphieren ließ.
Während jene einst haltlos auf schlüpfrigem Boden umsinken
werden, um nie wieder aufzustehen, so hat er einen ewigen
Halt, eine Hand, die ihn nie losläßt. Während jene ihr Herz
an die zeitlichen Güter hängen, darf er es an den Herrn
selbst hingeben, der allein wahrhaft befriedigen kann.
Während jene für kurze Zeit eitle Menschenehre genießen,
geht er dem Tag entgegen, wo er mit bleibender Ehre gekrönt
wird (V. 23-26).
Was ist alles stolze Brüsten der Gottlosen gegen das
»Dennoch« seines Glaubens (»Dennoch bleibe ich stets an
dir«), gegen das »Nur« seiner Liebe (»Wenn ich nur dich
habe«) und gegen das »Endlich« seiner Hoffnung (»Du nimmst
mich endlich mit Ehren an«)? Wer Asaphs Halt, Leitung und
Ziel gefunden hat, der ist zufrieden. Gott kann auch heute
noch unzufriedene Menschen in der Stille seines Heiligtums
selig, zufrieden und voll Triumph machen.
»Wer dich hat, ist still und satt;
wer dir kann im Geist anhangen,
darf nichts mehr verlangen.«