Ps 12,1
C.H.Spurgeon
,,Hilf, Herr."
Ps. 12, 1.
Dies Gebet ist an sich schon merkwürdig, denn es ist kurz, aber
kernhaft, kräftig und kindlich. David war bekümmert, daß die
Heiligen abgenommen hatten und der Gläubigen wenig war unter den
Menschenkindern; und darum richtete er sein Herz empor im Gebet;
weil die Geschöpfe ihn verließen, floh er zum Schöpfer. Offenbar
fühlte er seine eigne Schwachheit, sonst hätte er nicht um Hilfe
geschrieen; zugleich aber hatte er die aufrichtige Absicht, sich
aufzumachen für die Sache der Wahrheit und für sie zu kämpfen,
denn das Wort ,,hilf" hat keinen Sinn, wo wir nicht auch selbst
tätig eingreifen. Es ist in diesem kurzen zweiwortigen Gebet
eine große Offenheit, Deutlichkeit des Verlangens und
Bestimmtheit des Ausdrucks; viel mehr, wahrlich, als in den
weitschweifigen Herzensergießungen mancher Christenleute. Der
Psalmist geht geradesweges zu seinem Gott mit einer
wohlerwogenen Bitte; er weiß, was er sucht, und weiß, wo er's
sucht. Herr, lehre uns beten, wie David betete!
Die Veranlassungen zu diesem Gebet finden sich oft. Wie ist es
so vortrefflich geeignet bei Heimsuchungen der göttlichen
Vorsehung, wenn schwergeprüfte Gläubige erfahren müssen, daß sie
keinen Helfer finden. Ebenso finden oft ernstgesinnte Christen,
die im Worte Gottes forschen, bei Zweifeln über diesen oder
jenen Gegenstand ihres Glaubens eine kräftige Hilfe, wenn sie
den Heiligen Geist, den großen Lehrer, anrufen: ,,Hilf, Herr."
Christliche Streiter dürfen im innern Kampfe bei dem
Gnadenthrone um Zuzug und Verstärkung flehen, und dies Gebet
dient ihnen dabei zum Vorbild für ihre Bitte. Arbeiter im
himmlischen Acker können gleichfalls auf diesem Wege in Zeiten
der Not Gnade und Erquickung empfangen. Heilsbegierige Sünder
können in Zweifeln und Ängsten diese nämliche kräftige Bitte
ergehen lassen. ,,Hilf, Herr," gilt für Leben und Sterben, für
Dulden und Kämpfen, für Leid und Freud. Unsre Hilfe stehet
allein bei Ihm, so lasset uns nicht träge sein, Ihn anzurufen.
Die Erhörung des Gebets ist gewiß, wenn es aufrichtig
dargebracht wird in Jesu Namen. Des Herrn Treue verbürgt es uns,
daß Er die Seinen nicht verläßt; seine nahe Verwandtschaft als
unser Vater und Bräutigam seiner Gemeinde stellt uns seine Hilfe
sicher; seine Hingabe Jesu ist ein Pfand aller Gütigkeit; und
fest steht seine Verheißung: ,,Fürchte dich nicht, ich helfe
dir."
W.MacDonald
»Rette Herr! - denn der Fromme ist dahin, denn die Treuen
sind verschwunden unter den Menschenkindern.« Psalm 12,1
Die Treue unter den Menschen ist vom Aussterben bedroht;
sie verringert sich rasch auf der Erde. Wenn David ihr
Verschwinden schon zu seiner Zeit beklagte, dann müssen wir
uns oft fragen, wie es ihm wohl heutzutage zumute wäre.
Wenn wir von einem treuen Menschen sprechen, dann meinen
wir damit jemand, der verläßlich, vertrauenswürdig und
zuverlässig ist. Wenn er ein Versprechen gibt, hält er
es. Wenn er eine Aufgabe hat, erledigt er sie. Wenn ihm
Ehrenämter anvertraut sind, verwaltet er sie absolut
zuverlässig.
Der treulose Mensch trifft eine Verabredung, hält sie dann
aber nicht ein oder kommt unentschuldigt zu spät. Er
übernimmt den Unterricht in einer Sonntagsschulklasse,
kümmert sich aber nicht um Ersatz, wenn er nicht da sein
kann. Man kann sich nie auf ihn verlassen. Sein Wort gilt
nichts. Kein Wunder, daß Salomo sagt: »Ein zerbrochener
Zahn und ein wankender Fuß: so ist das Vertrauen auf einen
Treulosen am Tage der Drangsal« (Sprüche 25,19).
Gott sucht nach treuen Männern und Frauen. Er möchte
Verwalter, die sich treu um Seine Interessen kümmern
(1. Korinther 4,2). Er sucht Lehrer, die als treue Leute
die großen Wahrheiten des christlichen Glaubens weitergeben
(2. Timotheus 2,2). Er sucht Gläubige, die dem Herrn Jesus
treu sind und Seine Verwerfung teilen und Sein Kreuz auf sich
nehmen. Er sucht Menschen, die kompromißlos treu zu Seinem
inspirierten, irrtumslosen, unfehlbaren Wort stehen. Er
sucht Christen, die der örtlichen Versammlung treu sind,
anstatt als religiöse Nomaden von Gemeinde zu Gemeinde zu
wandern. Gott sucht Heilige, die treu sind anderen Gläubigen
gegenüber und ebenso gegenüber den Ungläubigen.
Wie bei allen anderen Tugenden ist der Herr Jesus unser
herrliches Vorbild. Er ist der t r e u e und wahrhaftige
Zeuge (Offenbarung 3,14), ein barmherziger und t r e u e r
Hoherpriester in den Sachen mit Gott (Hebräer 2,17), t r e u
und gerecht, uns unsere Sünden zu vergeben und uns zu
reinigen von aller Ungerechtigkeit (1. Johannes 1,9). Seine
Worte sind wahr, Seine Verheißungen gewiß und Seine Wege
absolut zuverlässig. Auch wenn die Menschen vielleicht
keinen großen Wert auf Treue legen, Gott tut es dennoch. Der
Herr Jesus lobte die Treue Seiner jünger mit den Worten:
»Ihr aber seid es, die mit mir ausgeharrt haben in meinen
Versuchungen; und ich verordne euch, gleichwie mein Vater
mir verordnet hat, ein Reich« (Lukas 22,28.29). Und die
letzte und höchste Belohnung für Treue wird es sein, Seine
feierliche Auszeichnung zu hören: »Wohl, du guter und treuer
Knecht! ... gehe ein in die Freude deines Herrn« (Matthäus
25,21).