Hi 42,1
J.Kroeker
Vom Geheimnis unserer Leiden.
"Da antwortete Hiob dem Herrn und sprach: Ich erkenne, dass
Du alles kannst und kein Plan Dir auszuführen zu schwer ist.
Wer ist, der den Ratschluss Gottes verdunkelt mit seinem
Unverstand. Fürwahr, ich habe geredet, was ich nicht
verstehe, was mir zu wunderbar ist und ich nicht begreifen
kann." Hiob 42,1 ff.
Am schwersten waren für uns immer die außergewöhnlichen
Leiden. Mit allerlei Trübsalen und Widerwärtigkeiten, mit
leiblichen Gebrechen und Beschwerden, mit Unannehmlichkeiten
im Alltags- und Berufsleben, mit gelegentlichen
Ungerechtigkeiten im Handel und Verkehr rechnet man, weil
sie so alltäglich sind. Wurden die Wasser der Trübsal aber
besonders bitter, so haben auch wir vielfach mit Hiob vor
einem ungelösten Rätsel gestanden. Wohl nur selten ahnten
wir, welche Süßigkeiten auch diese bitteren Wasser von Mara
für uns enthalten können. Erst als das Feuer sein Werk
getan, sah man, wie viele Schlacken vordem das Gold noch
enthielt.
Es gibt nun nicht viele, die gelernt haben, mit Paulus zu
sprechen: "Ich habe Wohlgefallen an Schwachheiten, an
Misshandlungen, an Nöten, an Verfolgungen, an Ängsten um
Christi willen!" Nur wenige begrüßen wie er die Leiden als
Gelegenheiten für neue Herrlichkeiten Gottes. Er hatte,
durch Leiden geübt, das tiefe Geheimnis erfasst: "Wenn ich
schwach bin, dann bin ich stark!" Und darum will er sich
am liebsten seiner Schwachheit rühmen, auf dass die
Kraft Christi in ihm wohne und sich auf dem Boden
seiner Schwachheit vollende.
In der Theorie stehen zwar auch wir auf jenem Boden:
Schwierigkeiten - Herrlichkeiten! Wenn diese sich aber
unverhofft, fast unerträglich schwer, von einer ganz anderen
Seite und in einer ganz anderen Form einstellen, als wir es
erwarteten, da verstanden auch wir zunächst den Herrn nicht
mehr. Unsere Seele wurde in tiefe Nacht gehüllt. Vergeblich
spähte unser Auge nach einem Ausweg. Selbst die Gewissheit
von der Zweckmäßigkeit aller Leiden wurde uns verdunkelt.
Wir denken in der Regel zunächst, wenn außergewöhnliche
Leiden und Trübsale da sind, dass sie ein Gericht Gottes für
irgendeine verborgene Schuld sein müssen. Und gewiss sind
manche Leiden ein Gericht für uns. Jedoch vielfach haben
unsere Leiden eine viel tiefere Bedeutung. Sie sind nicht
ein Gericht für uns, sie sollen ein Weg für uns werden, auf
dem wir zu ungeahnter Schönheit und Herrlichkeit gelangen.
Der Herr will in unserem Leben wahr machen, was der jüngste
und letzte der Freunde zum Trost Hiobs sagen durfte: "Auch
dich lockte Er aus dem Rachen der Angst in einen weiten
Raum!" Nicht die Angst, in die Hiob kam, war Selbstzweck in
der Hand Gottes. Sie war aber der Weg, auf welchem Hiob zu
jenem weiten Raum gelangen sollte, wo er Segen in Überfluss
finden würde. Der Weg zum weiten Raum führt durch die Angst
der Seele hindurch.