Ri 2,4
A.Christlieb
Das Volk hob seine Stimme auf und weinte. Richter 2, 4
Am Schluß des ersten Kapitels im Richterbuch wird immer
wieder hervorgehoben: ,,Israel machte die Kanaaniter zinsbar,
aber - vertrieb sie nicht." Und dabei hatte Gott mit solchem
Ernst Israel befohlen, die Heiden mit ihrem greulichen
Götzendienst und lasterhaften Leben gänzlich auszurotten,
weil sie sonst Israel leicht verführen könnten. Da hat es
sich eines Tages ereignet, daß Gott einen Engel sandte, der
das Volk zusammenrief und ihm eine erschütternde Bußpredigt
hielt. Dieselbe war nur ganz kurz. Jedes Kind konnte sie
begreifen. Aber sie hatte die zerschmetternde Kraft des
Blitzstrahles und erschütterte die Menschen wie rollender
Donner: Der Engel drohte dem Volk schweres Gericht an, wenn
es Gottes Befehl nicht treu erfüllen würde. - Die Wirkung
war ungeheuer. Tränen flossen in solchen Strömen, daß der
Ort von da an Bochim, d. h. Tränental hieß. Ja mehr! Das
Volk tat Buße. Es gab derselben Ausdruck in einem Opferfest
zu Ehren Gottes, bei dem ungezählte Tiere dargebracht wurden.
Aber - die Buße war nicht bis in die Herzwurzel gegangen.
Sechs Verse später heißt es bereits: ,,Die Kinder Israel
taten übel vor dem Herrn und dienten dem Baalim. Da
ergrimmte der Zorn des Herrn über Israel und gab sie in die
Hand der Räuber" (V. 14). - Und wir? Haben wir nicht einen
Prediger, vom Himmel gesandt, der weit nachdrücklicher
Zeugnis ablegt als der Engel bei Bochim? Redet nicht Gott
selber, der Heilige Geist, durch das Wort der Heiligen
Schrift zu uns? Greift er uns nicht ans innerste Herz
durch das Zeugnis vom Kreuz? Hat er nicht seit 1914 mit
Donnergewalt gedroht und gestraft? Sind nicht Ströme von
Tränen geflossen bei denen, die bis ins Herz getroffen
wurden? Uns hilft aber nicht schnell trocknender
Tränenstrom, sondern allein der Gehorsam gegen Gottes Wort.
Ch.Spurgeon
"Da nun der Engel des Herrn solche Worte zu allen Kindern
Israel redete, erhob das Volk seine Stimme und weinte."
Richter 2,4
Wie hoffnungsvoll! Sie alle waren aufmerksame Hörer. Es war
nicht einer da, der seine Augen umherschweifen ließ oder die
scharfen Worte vergaß, die gesprochen wurden. Alle schienen
ihre Ohren weit aufzutun, um die göttliche Ermahnung
aufzunehmen. Dort standen sie vor dem Herrn, erstaunt
und verwirrt, während der Engel seine ernste Botschaft
ausrichtete und dann zu dem zurückkehrte, der ihn gesandt
hatte. Diese Israeliten hörten die Warnung und nahmen die
Wahrheit in sich auf. Sie waren aufmerksame Hörer, und jeder
würde gesagt haben: "Gelobt sei Gott! Diese Predigt hat ein
großes Werk getan." In der ganzen Versammlung war nicht
einer, der lachte; nicht einer, der gleichgültig war; nicht
einer, der die Botschaft verhöhnte und verachtete, sondern
nach diesem Text erhoben alle ihre Stimme und weinten. Ein
Gefühl der Bedrückung lag auf ihnen. Ihre Seelen waren tief
betrübt; sie drückten ihren Schmerz in einem bitteren Schrei
aus, und mittlerweile flossen ihre Tränen, so daß wir denken
würden: Das ist verheißungsvoll!
Diese Menschen waren auch bekennende Hörer; denn sobald
dieser Gottesdienst vorüber war, "opferten sie daselbst dem
Herrn". Sie bekannten sich als des Herrn Knechte, nahmen das
Opfer, welches er bestimmt, und opferten für ihre Sünden.
Sie alle waren Verehrer des Höchsten und aufrichtig
bußfertig.
Nun, liebe Freunde, alles dies sieht sehr hoffnungsvoll
aus, weil wir dieses Ergebnis erwarten, wenn Gott das Gesetz
dem Gewissen des Menschen vorstellt. Wenn einem Menschen
seine Sünde vorgestellt wird, sollte er dann nicht weinen?
Hoffnung glänzt in jeder Träne. Oh, daß die Menschen
anständig genug wären, ihre Übertretungen zu beweinen. Mich
wundert, daß einige von euch ihre Bibel mit trockenen Augen
lesen können. Es ist nicht zu verwundern, daß die Leute
schreien und weinen; ein Wunder ist, daß nicht jeder Ort,
an dem das Gesetz und das Evangelium verkündigt werden,
ein "Bochim", ein Ort des Weinens, ist.
Ch.Spurgeon
"Da nun der Engel des Herrn solche Worte zu allen Kindern
Israel redete, erhob das Volk seine Stimme und weinte."
Richter 2,4
Nun möchte ich euch die andere Seite zeigen, und ihr werdet
feststellen, daß nichts Beständiges in den Wasserfluten
Bochims war. Diese Leute wurden durch die Predigt des Engels
zum Weinen gebracht; und wir dürfen uns durch ihr Weinen
nicht täuschen lassen. Ich vermute, daß ihre Klagen und
Tränen ebenso durch die Person des Predigers als durch irgend
etwas anderes hervorgerufen werden konnte. Es war der Engel
des Herrn, und wer würde in seiner Gegenwart nicht bewegt
werden? Einige predigen so, daß es fast unmöglich ist, dabei
unempfindlich zu bleiben. Sie verfügen über eine solche
Ausstrahlungskraft oder einen so gewaltig hervortretenden
Ernst, daß es eine ganz natürliche Folge ist, wenn die
Gefühle des Hörers gerührt werden. Aber eine zeitliche
Ursache kann nicht eine ewige Veränderung hervorbringen. Ihr
müßt von neuem geboren werden - "nicht aus dem Geblüt, noch
aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes,
sondern aus Gott". Es mag ein großer Segen für euch sein,
einen eindringlichen Prediger zu hören, aber wenn ihr euch
auch nur ein wenig auf ihn verläßt, wird es schädlich für
euch sein.
Weiter fürchte ich, daß die Buße dieser Leute sehr viel mit
ihrer natürlichen Weichheit zu tun hatte. Ich liebe den
starken Mann, der innerlich weint und sparsam mit dem äußeren
Regenschauer ist. Ich kenne wahrhaft weichherzige Männer,
die keine Träne vergießen können, wenn es ihr Leben gilt,
aber einen viel tieferen Schmerz fühlen als die, deren Kummer
oberflächlich und wässrig ist. Einige haben eine natürliche
Weichheit, die das Erreichen geistlicher Empfindsamkeit
verhindert. Diese Bereitwilligkeit zu weinen, diese
Bereitschaft, das Wort mit Freuden aufzunehmen, sofort
in den Glauben hineinzuspringen, mag vielleicht nichts
als geistliche Schwäche sein. Einige Menschen weinen
überreichlich, weil sie Trunkenbolde gewesen sind. Das ist
eine elende Sache. Ein Gramm Glauben ist besser als eine
Tonne Tränen. Ein Tropfen echter Buße ist köstlicher als ein
Strom von Tränen.
Ch.Spurgeon
"Da nun der Engel des Herrn solche Worte zu allen Kindern
Israel redete, erhob das Volk seine Stimme und weinte."
Richter 2,4
Ich fürchte, daß diese Israeliten nicht weinten, weil sie
gesündigt hatten, sondern weil Gott gesagt hatte, daß er die
Kanaaniter nicht mehr vor ihnen austreiben wollte. Jeder
Mörder bereut unter dem Galgen; das heißt, er bereut, daß er
gehenkt wird; aber er bereut nicht, daß er andere Leute
getötet hat. Wir sollten klar zwischen dem natürlichen
Erschrecken, das durch eine lebendige Beschreibung des
zukünftigen Zorns hervorgerufen wird, und jener wirklichen,
geistlichen Berührung Gottes, die das Herz bricht und es dann
verwandelt, unterscheiden. Diese Leute täuschten sich über
die Tiefe und Aufrichtigkeit ihrer eigenen Gefühle. Ohne
Zweifel hielten sie sich für auserlesene Bußfertige, aber sie
waren nur zitternde Feiglinge, die unter Eindrücken litten,
die ebenso unnütz wie vorübergehend waren.
Diese Israeliten wurden durch Weinen nicht besser, denn
sonst hätten sie ausgerufen: "Kommt, Brüder, greift zu den
Schwertern! Laßt uns hingehen, um mit den Hevitern und den
Hetitern zu streiten, ihre Altäre niederzureißen und ihre
Götzenbilder und ihre Haine zu zerstören!" Nein, sie ließen
das Schwert in der Scheide und schlossen mit den verurteilten
Völkern Verträge. Sie bekannten und beklagten wahrscheinlich
ihre eigene Lauheit und gingen soweit zu sagen: "Es ist
traurig, daß wir so hartnäckig sind. Es ist wirklich eine
schreckliche Sache."
Ich hörte jemand sagen: "Es ist furchtbar, ein Sklave des
Weinbechers zu sein; ich wünschte, ich hätte ihn nie
geschmeckt." Ach, er war am nächsten Tag wieder betrunken.
Wenn ihr die Sünde bereut, dann nieder mit der Sünde! Wenn
die Buße von Herzen kommt, dann ist sie sehr praktisch.
Wenn sich einer wahrhaft zu Gott bekehrt, so kehrt er sich
von der Sünde weg. Wenn Satan wirklich aus einem Menschen
ausgetrieben wird, fegt der Befreite sein Haus und reinigt
sich von dem Schmutz, den er früher beherbergt hat.
Errettung liegt nicht im Fühlen, sondern im Glauben.
Errettung liegt nicht im Weinen, sondern im Vertrauen auf
Christus. "Zerreißt eure Herzen und nicht eure Kleider!"