1Mo 50,19
A.Christlieb
Ich bin unter Gott. 1. Mose 50, 19
Ein leuchtend helles Wort! - So spricht ein Mann, der
im äußeren sehr emporgekommen ist. Es ist Joseph,
der vom Sklaven im Gefängnis emporstieg zum höchsten
Regierungsbeamten in Ägypten. Solchen Wechsel kann nicht
jeder vertragen. - Viele, die sich früher zu Gott hielten,
fingen an, ihm den Rücken zu kehren, wenn sie es in der Welt
zu etwas brachten. Äußerlich ging es mit ihnen aufwärts,
innerlich abwärts. Bei Joseph war es anders. Er war so
reich, daß er ganze Wagenladungen der herrlichsten Geschenke
verteilen konnte (1. Mose 45, 21) und blieb doch klein,
demütig und von Gott abhängig. Wohl allen Gotteskindern, die
trotz äußerer Verbesserung ihrer Lage von Herzen sprechen:
,,Ich bin unter Gott." - Als Joseph diesen Ausspruch tat,
hatte er die E n t s c h e i d u n g zu treffen, ob seine
Brüder bestraft werden sollten oder nicht. Die Entscheidung
lag allein in seiner Hand. Er aber wollte nicht nach eigener
Macht, eigenem Sinn und eigenem Willen entscheiden, sondern
sich nach Gottes Weisungen richten und sprach darum: ,,Ich
bin unter Gott!" Die wörtliche Übersetzung: ,,Bin ich denn
an Gottes Statt?!" drückt fast ein Entsetzen aus vor dem
Gedanken an ein eigenmächtiges Vorgehen, das nicht in
Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen stehen könnte. -
Die Entscheidung Josephs ist das genaue Gegenteil von dem,
was Hochmut und Eigenwillen des natürlichen Menschen in
solchem Falle beschließen würden. Josephs Haltung leuchtet
um so heller, als er den schändlichsten Frevel gegen seine
eigene Person verzeihen sollte. Jetzt, nach dem Tode seines
Vaters, hatte er die beste Gelegenheit gehabt, an den Brüdern
Rache zu nehmen. Aber er hatte ihnen längst - nicht um des
Vaters, sondern um Gottes willen - vergeben. Joseph sah in
allem Geschehen der Vergangenheit nicht sündige Menschenhand,
sondern wunderbare, göttliche, treue Vaterhand. Das
befähigte ihn, nicht nur zu verzeihen, sondern sogar
wohlzutun denen, die sich an ihm versündigt hatten.