1Mo 49,6
W.MacDonald
»Meine Seele komme nicht in ihren geheimen Rat.«
1. Mose 49,6
Diese Worte finden sich in Jakobs Segen über seine Söhne.
Als er an die Grausamkeiten dachte, die Simeon und Levi an
den Männern von Sichem begangen hatten, sagte er: »Meine
Seele komme nicht in ihren geheimen Rat.« Ich würde diese
Worte gerne in einen breiteren Zusammenhang stellen. Es gibt
Geheimnisse, die mit Sünde zu tun haben und von denen es
besser ist, daß man sie nie erfährt. Die Versuchung setzt
dann ihr verführerischstes Gesicht auf und sagt uns, daß
wir niemals glücklich sein können, wenn wir nicht in ihre
Geheimnisse eingeweiht sind. Sie bietet uns Aufregendes an,
körperliches Wohlbefinden, gefühlsmäßige Höhepunkte und das
lockende Unbekannte. Viele Menschen, besonders solche, die
bisher ein sehr zurückgezogenes und behütetes Leben geführt
haben, werden von solchen Verführungen angesprochen. Sie
haben das Gefühl, daß sie bis jetzt die wahren Vergnügungen
noch gar nicht kennen. Sie kommen sich benachteiligt vor.
Und sie glauben, sie könnten niemals zufrieden sein, solange
sie nicht einen umfassenden Eindruck von der Welt gewonnen
haben. Das Schwierige daran ist nur, daß die Sünde niemals
allein kommt. Es gibt bei ihr immer eingebaute Risiken und
böse Konsequenzen. Wenn wir mit einer Sünde, ganz gleich mit
welcher, zum ersten Mal Erfahrungen machen, dann rufen wir
damit eine ganze Flut von Quälereien und Gewissensbissen
hervor. Wenn wir einer Versuchung nachgeben, dann schwächt
das unsere allgemeine Widerstandskraft. Wenn wir einmal eine
Sünde begangen haben, wird es immer leichter, sie auch ein
weiteres Mal zu tun. Bald werden wir schon Fachleute in
Sachen Sünde. Ja, wir werden sogar zu ihren Sklaven und sind
dann durch die Ketten der Gewohnheit an sie gefesselt. In
dem Moment, in dem wir einer Versuchung nachgeben, werden
unsere Augen aber auch für ein Schuldgefühl geöffnet, das wir
früher noch nie empfunden haben. Der Fröhlichkeit, mit der
wir das Gesetz durchbrechen, folgt ein furchtbares Gefühl
innerer Blöße und Leere. Es ist sicher wahr, daß Sünde
bekannt und vergeben werden kann, aber das ganze Leben
hindurch ist es peinlich, wenn man mit früheren Partnern
dieser Übertretung wieder zusammentrifft. Es ist eine
schmerzende Narbe in unseren Erinnerungen, wenn wir die Orte
unserer Torheit wieder aufsuchen müssen. Es gibt ungelegene
Momente, in denen die ganze schmutzige Angelegenheit wieder
in unseren Gedanken auftaucht, oft gerade während unserer
heiligsten Augenblicke - und unser Körper wird dann davon
buchstäblich getroffen, und wir stöhnen auf. Wenn es auch
wunderbar ist, die Vergebung Gottes für diese Sünden zu
erfahren, so ist es doch noch viel besser, gar nicht erst
in ihre Geheimnisse einzudringen. Was sich zuerst als ein
interessantes Geheimnis darbietet, stellt sich später als ein
Alptraum heraus. Das Vergnügen schlägt bald um in Entsetzen,
und ein Augenblick der Leidenschaft zieht oft ein ganzes
Leben voller Vorwürfe nach sich. In der Stunde der
Versuchung sollte unsere Reaktion deshalb sein: »Meine Seele
komme nicht in ihren geheimen Rat.«