1Mo 8,11
S.Keller
1. Mose 8, 11: «Die kam zu ihm um die Vesperzeit, und siehe,
ein Ölblatt hatte sie abgebrochen und trug's in ihrem Munde.»
Um die Vesperzeit! Der Höhepunkt des Tages ist
überschritten; der Lärm fängt an sich zu legen. Gleich ist
die Hauptarbeit vorbei. Die Hitze weicht der kommenden
Abendkühle; die Schatten werden länger. Ist das nicht eine
passende Zeit für Trost? Ist da die Seele nicht besser in
der erwartungsvollen Stimmung als vorher, wo noch die Unruhe
groß war? Die wichtigste Geschäftigkeit, mit der jeder
Vormittag einsetzt, wie ein Prahler, als müßte heute, wer
weiß was, für Großes getan werden, ist eine schlechte Stelle
für den Taubenbesuch. Um die Vesperzeit - vor Abend ist
es wichtiger. Es könnte auch sein, daß da die natürliche
Abspannung, die Erschlaffung, es mit sich bringt, daß der
Glaube müde wird und man anfängt, resigniert sich ins
Unvermeidliche zu schicken. Sei stille, mein Herz, und warte
auf den Herrn von einer Morgenwache zur andern, und vom
Morgen bis zum Abend! Wenn aber die Taube um die Vesperzeit
das tröstende Ölblatt brachte, dann wird es um den Abend
licht, und du brauchst heute nicht zu seufzen. Dein Gott hat
dein gedacht und dich gegrüßt um die Vesperzeit!
Herr, mir war um Trost sehr bange und ich meinte den ganzen
Tag, du habest heute meiner vergessen. Dazu war des Tages
Last und Hitze groß, und mein trauriges Herz konnte so
schlecht alles aushalten. Nun danke ich dir, daß du an mich
gedacht und mir durch dein Ölblatt die Spannung gelöst hast.
Du bist mein Trost! Amen.