1Mo 4,11
J.Kroeker
Von Kain und seinem Fall.
"Und nun sollst du verbannt sein aus dem Land, das seinen
Mund aufgetan hat, das Blut deines Bruders zu empfangen von
deiner Hand. Wenn du das Land bebaust, soll es dir fortan
sein Vermögen nicht mehr geben. Unstet und flüchtig sollst
du sein auf Erden!" 1.Mose 4,11.
Sobald der Mensch das Band zwischen sich und Gott zerreißt,
zerreißt auch Gott das Band zwischen Mensch und Erde. Sie
hört auf, ihm eine Segensquelle und Ruhestätte zu sein.
So gern sie ihre Kräfte dem Friedfertigen erschließt, so
bestimmt entzieht sie dieselben dem, der sich über seinen
Nächsten hinweg auf ihr zu behaupten sucht. Darum hatte
sie eines Tages für Kain keine Ruhestätte mehr. Die zwei
hebräischen Worte "unstet" und "flüchtig", die in Zukunft
dem Leben Kains den inneren Charakter gaben, besagten nichts
Geringeres, als dass Kain in seinem Leben gemieden von der
Erde und verlassen von den Menschen sein würde. Das ist
bis heute das furchtbare Kainsmal, das jedes Verbrechen am
Nächsten auf seiner Stirn trägt, ganz einerlei, ob es von
einzelnen oder von ganzen Völkern begangen wurde. Nie wird
die Erde dauernd Kains Geschlecht zu tragen vermögen, so sehr
es sich auch auf ihr zu behaupten versucht. Sie wird dafür
Sorge tragen, dass das, was durch Blut auferbaut wurde,
wiederum im Blute untergeht. In den ihr abgerungenen Gütern
und Kräften lässt die Erde Kains Geschlecht sich selbst jene
Katastrophen vorbereiten, in denen es seinen Untergang finden
muss. Das ist der Erde Vergeltung gegen Kains Verbrechen.
Kain kam auch durch seinen tiefen Fall nicht zur Erkenntnis
seiner widergöttlichen Herzensgesinnung. Er fand daher auch
nicht jenen Weg innerlicher Beugung, der zur vergebenden
Gnade und zur Erneuerung des Lebens führte. Was er bereute,
war nur das, was er durch seine Tat verloren hatte, nicht
aber die Tat selbst mit ihrem Verbrechen gegen seinen Bruder.
Solche Reue führte aber nie zur Erlösung, weder im Leben des
einzelnen noch der Völker. Göttliche Erlösung liegt allein
in der Änderung jener inneren Sinnesart, aus der das
Verbrechen mit seinen Folgen fließen konnte. Kain jedoch
ging diesen Weg des Heils für sich und die Zukunft nicht. Im
Gegenteil, die Schrift berichtet von ihm: "Er entfernte sich
von dem Angesichte Gottes." Das war das zweite psychologische
Ereignis in der Geschichte der Menschen: ein zweiter
Sündenfall, ein abermaliges, noch viel tieferes Hinabsteigen.
Adam verlor die Lichtsphäre des Paradieses, ihm blieb jedoch
noch das Angesicht Gottes. Kain verlor aber auch dieses.
Durch diese entscheidungsvolle Tat verlor er hinfort alles:
Die Adama (Ackerboden), das Angesicht Gottes, den Nächsten
und - sich selbst.