1Jo 4,17
W.MacDonald
»... daß, gleichwie er ist, also auch wir sind in dieser
Welt.« 1. Johannes 4,17b
Hier haben wir eine neutestamentliche Wahrheit vor uns, die
uns durch ihre Kühnheit förmlich schockiert. Wir würden es
nicht wagen, diese Worte auszusprechen, wenn wir sie nicht
in der Bibel fänden. Aber sie sind wunderbarerweise wahr,
und wir können uns an ihnen erfreuen und sie genießen.
In welchem Sinne sind wir wie Christus in dieser Welt? Wir
denken fast immer automatisch daran, auf welche Weise wir
n i c h t genauso wie Er sind. Wir teilen mit Ihm nicht
die Eigenschaften Seiner Gottheit, wie z.B. Allmacht,
Allwissenheit und Allgegenwart. Wir sind voller Sünde und
Fehler, während Er absolut vollkommen ist. Wir lieben nicht
wie Er liebt, oder vergeben wie Er vergibt.
Auf welche Weise sind wir also gleichwie Er? Der Vers
erklärt es selbst. »Hierin ist die Liebe mit uns vollendet
worden, damit wir Freimütigkeit haben am Tage des Gerichts,
daß, gleichwie Er ist, also auch wir sind in dieser Welt.«
Gottes Liebe hat in unserem Leben derart gewirkt, daß wir
keine Angst haben werden, wenn wir vor dem Richterstuhl
Christi stehen. Der Grund für unsere Zuversicht ist das, was
wir mit Christus gemeinsam haben - das Gericht liegt hinter
uns. Im Hinblick auf das Gericht sind wir wie Er. Er trug
das Gericht für unsere Sünden am Kreuz auf Golgatha und hat
die Frage der Sünde ein für allemal gelöst. Weil Er die
Strafe für unsere Sünden getragen hat, werden wir sie niemals
zu tragen haben. Wir können mit zuversichtlicher Gewißheit
singen:
»Tod und Gericht liegen hinter mir, Gnade und Herrlichkeit
vor mir, alle Wellen gingen über Jesus hinweg, dort haben
sie all ihre Kraft verbraucht.«
Wie das Gericht für Ihn für immer Vergangenheit ist, so
ist es auch für uns Vergangenheit, und wir können sagen:
»Es gibt keine Verdammnis, keine Hölle mehr für mich, die
Qual und das Feuer werden meine Augen nie sehen. Für mich
gibt es keine Verurteilung, für mich hat der Tod keinen
Stachel: Weil der Herr, der mich liebt, mich unter Seinen
Flügeln schützen wird.«
Wir sind wie Er - nicht nur im Blick auf das Gericht, sondern
auch im Blick auf unsere Annehmlichkeit vor Gott. Wir stehen
vor Gott in dem gleichen Wohlgefallen wie der Herr Jesus,
weil wir in Ihm sind. »Nahe, so nahe bei Gott, ich könnte
nicht näher sein, denn in der Person Seines Sohnes, bin ich
so nahe wie Er.«
Schließlich sind wir wie Christus, weil wir von Gott dem
Vater ebenso geliebt werden wie Er. In Seinem sogenannten
hohepriesterlichen Gebet sagte der Herr Jesus: »... daß
du ... sie geliebt hast, gleichwie du mich geliebt hast«
(Johannes 17,23b). So ist es also für uns keine Übertreibung
zu sagen:
»Geliebt, so geliebt von Gott, ich könnte nicht mehr geliebt
sein. Die Liebe, mit der Er Seinen Sohn liebt, ist die
gleiche, die auch ich erfahre.« So ist es in herrlicher
Weise wahr, daß gleichwie Christus ist, also auch wir sind in
dieser Welt. Freuen wir uns!
C.O.Rosenius
Gleichwie Er ist, so sind auch wir in dieser Welt. 1. Joh.
4, 17.
Laßt uns diese Worte des Apostels Johannes recht bedenken:
Wie verborgen war Jesus doch in dieser Welt! Der Eingeborene
des Vaters, der Glanz der Herrlichkeit Gottes und das
Ebenbild Seines Wesens, Gott aus Gott - wie heimlich verbarg
Er sich unter unserer Gestalt! Wie tief verborgen war Seine
Herrlichkeit in ,,der Gestalt des sündlichen Fleisches!" Wahr
ist es - gewiß sollte der Glaube hinreichende Ursache für
seine Sicherheit haben; gewiß sangen die Engel in den Wolken
am Morgen Seiner Geburt; gewiß tat Er Werke, die kein anderer
als nur Gott allein tun konnte; gewiß erhielt Er von Gott dem
Vater Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu Ihm geschah
aus der großen Herrlichkeit: ,,Dies ist Mein lieber Sohn!";
gewiß hatte Er die Kennzeichen aller Weissagungen. Aber Er
sprach: ,,Ich bin zum Gericht auf diese Welt gekommen, auf
daß, die da nicht sehen, sehend werden, und die da sehen,
blind werden." Auf daß der stolze Sinn des Unglaubens, der
beständig Zeichen sehen will, mit Blindheit bestraft, und
Er nach dem Willen des Vaters den Brüdern gleich werden
und ihre Lasten tragen sollte, war Er auf Erden ,,der
Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und
Krankheit, so daß man das Angesicht vor Ihm verbarg."
Bedenke, wie verborgen, wie unbegreiflich für alle Vernunft
das ist: Gottes Sohn, in einem Stall geboren, bei den
Haustieren in eine Krippe gelegt, erzogen in einer Stadt,
die im Lande einen solchen Ruf hatte, daß der unschuldige
Nathanael fragte: ,,Was kann von Nazareth Gutes kommen?"
Gottes Sohn auf Erden, ärmer als die Vögel unter dem Himmel,
indem Er nicht einmal hatte, da Er Sein Haupt hinlegen
konnte, verachtet, verspottet, verfolgt ,,wie eine Hirschkuh,
die frühe gejagt wird", und schließlich mit Stricken
gebunden, gegeißelt, verwundet, ins Angesicht gespien und von
elenden Knechten auf die Backen geschlagen, unter dem
höhnenden Trotz der Henker zwischen Übeltätern außerhalb der
Stadt ans Holz gehängt und verhöhnt: ,,Bist du Gottes Sohn,
so hilf Dir selbst", zuletzt rufend, daß Er von Gott
verlassen sei, stirbt Er und wird begraben! - Wo sah man
hier eine göttliche Majestät, wo eine Macht und Herrlichkeit
des Schöpfers? Gibt es wohl auf der ganzen Erde etwas
Undenkbareres, als daß dieser Gottes Sohn sei? Und doch
stand Er auf zu der Zeit, die Er vorhergesagt hatte, zeigte
sich vierzig Tage und vor fünfhundert Brüdern auf einmal und
fuhr dann angesichts vieler auf gen Himmel! So verbarg sich
doch eine göttliche Majestät unter der äußerst elenden
Gestalt.
Und nun, ,,gleichwie Er war, so sind auch wir in dieser
Welt." Wie das Haupt, so sind auch die Glieder. Wie der
Bräutigam, so ist auch die Braut. Elend und jämmerlich
erscheint der Bräutigam, elend und jämmerlich erscheint auch
die Braut. Unter ihrem Elend aber soll sich die göttliche
Herrlichkeit, unter der Armut himmlischer Reichtum, unter
der Sünde und Gebrechlichkeit hohe, ewige Gerechtigkeit
verbergen. Hier gilt es, sich nicht irremachen zu lassen von
dem, was gesehen und gefühlt wird. Es kann kaum undenkbarer
erscheinen, daß wir Gottes Kinder, ,,Gottes Auserwählte,
Heilige und Geliebte" seien, als es dazumal unmöglich zu sein
schien, daß Jesus Gottes Sohn sei. Sollten wir dann nicht
zufrieden sein mit Ihm, unserem Haupt, in dieser Zeit
verborgen zu sein, mit Ihm im Stand der Erniedrigung hier
im Jammertal zu gehen?! - Da wir nun die eindeutigen Worte
Gottes dafür haben, daß wir nur durch den Glauben an Christus
Gottes Kinder und damit gerecht und angenehm vor Gott sind,
sollen wir es so gewiß und fest glauben, als wären wir schon
im Himmel, ja, so gewiß, wie Gott nicht lügen kann. Er hat's
gesagt! Und darum ist es gewiß, wenn wir auch nicht das
geringste davon in unseren Herzen fühlen.
Der Hauptgrund all dieses Verborgenen in unserem Leben ist
der, daß Christi Reich ein Glaubensreich, eine enge und
niedrige Pforte für die stolzen und steifen Kinder Adams sein
soll. Christus soll zu allen Zeiten zum Gericht in dieser
Welt sein, auf daß die, so da sehen wollen, blind werden,
während diejenigen, die damit zufrieden sind, nicht zu sehen,
sehend werden. Keine anderen können in dies Reich kommen und
unserem Gideon folgen als nur diejenigen, die mit allen
Seinen Anordnungen, welcher Art sie auch seien, zufrieden
sind. Das Heer Gideons wurde nicht durch eine freie Wahl
bestimmt, sondern durch die folgende demütigende Prüfung:
,,Welcher sich niederbeugt und Wasser leckt wie ein Hund, der
soll mit Gideon ziehen; alle anderen sollen umkehren." So
auch hier. Wer ein Hund sein kann, wer sich an dem genügen
lassen kann, was immer er zu erfahren, zu sehen und zu
empfinden bekommt - nur der kann Jesus folgen. Willst du
dagegen unbedingt die Lieblichkeit Gottes sehen, fühlen und
schmecken? Mußt du dein Leben ganz klar und offenbar in Gott
haben, so daß alles gut und richtig zugeht, dein eigenes
Innere stets warm und göttlich, dein Wandel stets stark und
heilig, dein Glück in der Welt gesegnet ist, sollen alle
Christen ganz rein und ohne Makel sein und dürfen keine
Gebrechen, keine Uneinigkeit, keine Fehler in der Erkenntnis
oder im Lebenswandel bei ihnen gefunden werden, damit sie
für Christen angesehen werden können? Sieh, wer ein solches
Leben in Gott haben will und sich nicht daran genügen läßt,
daß es verborgen, ja, zuweilen von Sünde und Elend ganz
bedeckt ist, der trete jeden beliebigen Augenblick von diesem
Heer zurück, der ist zu diesem Feldzug nicht tauglich. Das
Volk des Gekreuzigten soll damit zufrieden sein, in der
dicken, schwarzen Wolke des Glaubens zu wandeln und oft lange
Zeiten hindurch von der Gnade Gottes so wenig zu sehen und zu
fühlen, als ob es ganz verlassen wäre.