2Petr 1,5
C.H.Spurgeon
,,So wendet allen euren Fleiß daran, und reicht dar in eurem
Glauben Tugend, und in der Tugend Erkenntnis; und in der
Erkenntnis Mäßigkeit, und in der Mäßigkeit Geduld, und in der
Geduld Gottseligkeit; und in der Gottseligkeit brüderliche
Liebe, und in der brüderlichen Liebe allgemeine Liebe."
2 Petri 1, 5-7.
Wenn du die unschätzbare Gnade völliger Glaubenszuversicht
genießen willst, unter dem gesegneten Einfluß und Beistand des
Heiligen Geistes, so tue, was uns die Heilige Schrift sagt:
,,Wende allen Fleiß daran," sorge, daß dein Glaube rechter Art
sei, daß er nicht ein bloßer Verstandes-Glaube sei, sondern ein
einfältiger Glaube, der sich ganz nur auf Christum verläßt, und
nur auf Christum allein. Gib fleißig acht auf deinen Mut. Bitte
Gott, daß Er dir die Stirn eines Löwen gebe, damit du im
Bewußtsein deiner Gotteskindschaft unerschrocken einhergehst.
Forsche fleißig in der Schrift, und werde fest in der
Erkenntnis; denn eine klare Erkenntnis des göttlichen Wortes und
Willens ist eine mächtige Stärkung deines Glaubens. Trachte nach
dem Verständnis der Heiligen Schrift; laß ihren Inhalt reichlich
wohnen in deinem Herzen.
Wenn du das getan hast, so ,,reiche dar in der Erkenntnis
Mäßigkeit." Bewahre deinen Leib: sei mäßig im Genuß des
Irdischen. Bewahre deine Seele: sei mäßig im Gebrauch der
geistigen Güter. Halte Maß in Gedanken und Worten, im Leben und
Empfinden. Danach reiche dar durch den Heiligen Geist Gottes:
Geduld; bitte Ihn, dir Geduld zu schenken, die alle Anfechtung
überwindet, auf daß, wenn du versucht wirst, du erfunden werdest
wie das Gold. Waffne dich mit Geduld, damit du nicht murrest
noch mutlos werdest in deinen Heimsuchungen. Wenn diese Gnade
erlangt ist, dann schaue dich um nach der Gottseligkeit.
Gottseligkeit ist noch etwas mehr als Frömmigkeit. Gottes
Verherrlichung sei deines Lebens Ziel; wandle vor seinem
Angesicht; bleibe Ihm nah; suche seine Freundschaft; das ist
,,Gottseligkeit;" und dazu füge die brüderliche Liebe. Liebe
alle Heiligen. Hieran reihe weiter die allgemeine Liebe, die
ihre Arme gegen alle Menschen ausstreckt und ihre Seelen liebt.
Wenn du mit diesen Kleinodien geschmückt bist, so wirst du in
demselben Maße, wie du diese himmlischen Tugenden übst, zur
klarsten Überzeugung deiner ,,Berufung und Erwählung" gelangen.
C.Eichhorn
Unser Fleiß in der Heiligung
Wendet allen euren Fleiß daran! 2. Petr. 1, 5
Es ist sehr wichtig, daß wir unser Wort im Zusammenhang mit
dem Vorhergehenden verstehen. Nachdem uns seine göttliche
Kraft alles geschenkt hat, was zum Leben und zur Frömmigkeit
not tut, so wendet allen euren Fleiß daran und reicht Gott
dar alle die Tugenden, die er an seinen Kindern sehen will:
Tüchtigkeit, Erkenntnis, Enthaltsamkeit, Ausdauer,
Frömmigkeit, Bruderliebe, allgemeine Liebe! Ihr könnt dies
alles nicht aus euch selbst hervorbringen. Seine göttliche
Kraft hat alles in euch gewirkt. Und wie geschah dies?
Durch die Erkenntnis des herrlichen Gottes und des Herrn
Jesu. Als euch das Glaubensauge geöffnet wurde, daß ihr
den allein wesenhaften Gott, und den er gesandt hat, Jesus
Christus, erkanntet, da seid ihr so reich geworden. Ihr
empfingt das wahre und ewige Leben (Joh. 17, 8) und die
Kraft, Gott zu dienen und alles, was ihm gefällt, ihm
darzureichen. Im Glauben habt ihr alles. Und nun macht euren
Glaubensbesitz flüssig, bringt zum Vorschein, was Gottes
Gnade in euch gelegt hat! Der heilige Wandel ist nur eine
Verwertung und Entfaltung der uns geschenkten Heiligkeit.
Laßt uns nur sorgen, daß das Glaubensauge hell, der
Glaubensblick ungetrübt ist, dann haben wir alles. - "Wendet
allen Fleiß daran!" Es mag einer noch so fleißig sein, doch
wenn die Aufgabe weit über seine Kräfte geht, so wird er
schließlich mutlos und verdrossen die Hände sinken lassen.
So verhält es sich mit der Heiligung unseres inneren und
äußeren Lebens. Sie ist etwas, was unsere Kraft weit
übersteigt. Wer's mit ganzem Ernst versucht, wird's inne.
Es ist nicht wahr, was Kant gesagt hat: Du kannst; denn du
sollst. Ihm war der Blick in das tiefe Verderben des
Menschenherzens gar nicht gegeben. Darum hat er auch die
Aufgabe nicht in ihrer ganzen Größe und Schwere erfaßt. Wir
können erst, wenn Gott uns in Christo das Vermögen darreicht.
Aber dann sollen wir, und zwar mit Aufwendung alles Fleißes.
- Der Fleiß ist im Grunde ein Fleiß des Glaubens, eine immer
neue Glaubensenergie. Wenn eine böse Untugend nicht weichen
will, so verzage an deiner Kraft, aber nicht an der Kraft,
die dir Gott im Herrn Jesu darreichen will! In ihm hast
du den Sieg, dabei beharre, gehe nicht weg vom Herrn, sei
zudringlich, halte ihm seine Verheißung vor, und du wirst es
erfahren: Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht,
Christus! Du hast in ihm neues Leben; ruhe nicht, bis dieses
Leben auf allen Punkten durchdringt und sich durchsetzt! -
Wenn uns das Licht der Erkenntnis des herrlichen Heilands
geschenkt ist, laßt uns ja nicht faul und unfruchtbar sein!
Sonst verlieren wir das Glaubenslicht. Wir werden "blind und
tappen mit der Hand". Wenn wir aber Gott reichliche Früchte
darreichen von dem, was er in uns gepflanzt hat, dann wird
uns reichlich dargereicht der Eingang zum ewigen Reich
unseres Herrn und Heilandes (2. Petr. 1, 8-11).
C.Eichhorn
Nicht einseitige, sondern allseitige Heiligung (I)
Reichet dar mit (oder neben) der Tüchtigkeit Erkenntnis!
2. Petr. 1, 5
Dem Glauben soll die Tüchtigkeit nicht fehlen. Er soll sich
kraftvoll beweisen mit der Tat im ganzen inneren und äußeren
Leben. Man trifft "Fromme", die im irdischen Leben ganz und
gar nicht ihren Mann stellen, überhaupt nirgends recht zu
brauchen sind. - Aber mit dem Tatchristentum soll sich
auch die Pflege der Erkenntnis verbinden. Meist kommt bei
sonst ernsten Christen die Vertiefung in der Erkenntnis zu
kurz. Da fehlt etwas nicht Unwesentliches. Gewiß ist die
Hauptsache im Christentum der entschlossene Wille, dem Herrn
zu dienen. Aber Gott hat uns auch einen Verstand gegeben.
Der Glaube gibt nicht nur dem Willen eine neue Richtung, er
gibt auch eine Erleuchtung des Verstandes. Gott in Christo
wird uns geoffenbart. Wir bekommen Einblick in die
Geheimnisse Gottes, in seinen Zeit und Ewigkeit umfassenden
Reichsplan. Zur Glaubenskraft gesellt sich Glaubenslicht.
Letzteres soll entwickelt und entfaltet werden in der
Erkenntnis. - Bei vielen ist diese Seite stark verkümmert.
Sie vergessen, daß in Christo uns nicht nur die Erlösung
gegeben ist, sondern daß auch alle Schätze der Weisheit und
Erkenntnis in ihm verborgen liegen. Diese Schätze sollen
gehoben werden. - Es gibt freilich auch eine unfruchtbare
Erkenntnis. Sie ist eine fälschlich berühmte Kunst. Sie
stammt nicht aus dem Geistesleben und befördert es nicht.
Sie ist ein bloßes Verstandeswerk. Der Hochmut nistet sich
darin ein. Man fühlt sich überlegen mit seinem vermeintlich
tieferen Wissen. Man befriedigt den Vorwitz bei sich und
andern. Man versenkt sich nicht in die zentralen Wahrheiten,
sondern macht Nebendinge zur Hauptsache. Man hat seine
Lieblingsmeinungen und "Steckenpferde". Man liebt es,
zu streiten oder sich in bloßes Wortgezänk einzulassen.
Man will recht haben und einen Trumpf ausspielen. - Die
fruchtbare Erkenntnis fließt aus Erleuchtung und Geistesleben
und befördert und stärkt die Frömmigkeit. Um sie zu
erlangen, müssen wir Gott bitten um den Geist der Weisheit
und Offenbarung. Dieser Geist führt uns in die Erkenntnis
Gottes und des Herrn Jesu. Er gibt erleuchtete Augen, daß
wir tiefer hineinblicken in das große Hoffnungsgut und in den
Reichtum dessen, was uns schon jetzt gegeben ist in Christo
Jesu, endlich in die überschwengliche Kraft Gottes, die er
in den Gläubigen beweisen kann und will. Solche Erkenntnis
führt zur Anbetung und mehrt und stärkt das inwendige Leben.
Sie hat eine gesundende Kraft. Sie erfüllt uns mit großen
und fruchtbaren Gedanken, gibt unserm Wesen Weihe und
Gehobenheit. Rechte Christen sollen wie fröhliche Kinder
in der Vergebungsgnade stehen und kindlich vertrauend und
sorglos am Vater hängen, sollen wie Jünglinge ihre Kraft
beweisen in der Überwindung des Bösen, sollen wie Väter mit
dem klaren Blick des gereiften Alters in die Erkenntnis des
ewigen Gottessohnes eindringen und immer tiefere Einsicht
gewinnen in seine Liebe, die alle Erkenntnis übertrifft.
O welch ein Reichtum bietet sich uns hier dar!
C.O.Rosenius
Wendet allen euren Fleiß daran und reichet dar in eurem
Glauben Tugend. 2. Petrus 1, 5.
Wenn wir alle teuren Verheißungen Gottes recht bedenken, dann
müßten wir wohl vor Gram über unsere erschreckliche Kälte und
unseren Ungehorsam vergehen, daß wir nicht beständig daran
denken, wie wir mit allem Fleiße unseren Glauben in einem
göttlichen Leben beweisen möchten. Alles, was zum Leben und
zur Gottesfurcht dient, ist uns gegeben, so daß wir trotz
unserer Schwachheit nicht Knechte der Sünde zu sein brauchen.
Wir haben die größten Verheißungen von Gott selbst, der
unmöglich lügen kann, Verheißungen, die schon in dieser Zeit
bezeugen, daß wir der göttlichen Natur teilhaftig werden und
in Ewigkeit bei Ihm leben sollen! Sollten wir dann nicht die
kleine Zeit hindurch, die wir noch zu leben haben, unsere
höchste Fürsorge darin sehen, jetzt nur Ihm zu leben, der uns
das alles gegeben hat, nur suchen, Ihm zu gefallen und zu
Seinem Preis beizutragen, und darum unseren ganzen Fleiß
daran zu wenden, daß in unserem Glauben Tugend bewiesen
werde? - O, bedenke dies doch, du, der du ein begnadigtes
Kind Gottes bist! Bitte Gott um Vergebung für alle deine
Versäumnisse und um Gnade, hinfort etwas Besseres zu
beginnen.
Wenn der Apostel sagt: ,,Und reichet dar in eurem Glauben
Tugend", so bezeichnet ,,Tugend" hier einen heiligen Eifer,
Kraft und Trieb zum Guten. Unser Glaube soll kein totes,
unwirksames Wissen oder nur eine träge Ruhe sein. Wenn wir
so herrliche Dinge glauben, wie sie in den Verheißungen
Gottes enthalten sind, dann sollen wir uns auch in unserem
ganzen Wandel so beweisen, wie es sich einem so begnadigten
und glücklichen Volk hier auf Erden geziemt. Man sieht oft
in dieser Beziehung etwas, was sowohl traurig als auch
merkwürdig ist, nämlich, daß es Menschen gibt, die wirklich
zu einem neuen geistlichen Leben gelangt zu sein scheinen,
bei denen es aber zu gleicher Zeit so ist, als wüßten sie
nicht, daß die Gnade, die sie empfangen haben, im Leben zur
Tötung des alten Menschen angewendet werden soll und muß.
Sie vermögen so manche Unart gänzlich zu übersehen, so, als
wüßten sie nicht, daß eine jede Sünde gekreuzigt und getötet
werden soll. Wenn diese nun doch geistliches Leben haben,
dann beweist ein solches Verhältnis aber eine geistliche
Schläfrigkeit und Trägheit, und aus dieser will der Apostel
uns hier aufwecken, wenn er darauf dringt, daß in unserem
Glauben Tugend gefunden werde - Eifer, Kraft, Wirksamkeit.
So sagt er selbst von dem Zweck dieses Briefes: ,,Dies ist
die andere Epistel, die ich euch schreibe, in welcher ich
euch erinnere und erwecke euren lauteren Sinn." - O, möchte
nun ein jeder, der dies liest, sogleich in sich gehen und
nachdenken, ob nicht ein solches Verhältnis bei ihm gefunden
werden könnte, eine christliche Pflicht, die er noch versäumt,
eine Sünde, die er noch nicht aufrichtig kreuzigt. Denn in
diesen zwei Stücken muß die Kraft der Gottesfurcht bewiesen
werden, nämlich all das Gute zu tun, was in unserem Beruf
möglich ist, sowie der Sünde zu entfliehen und sie vollends
zu kreuzigen. - Du also, der du glaubst und begnadigt bist,
z. B. aber mit einem starren und zornigen Sinn zu kämpfen
hast, hüte dich vor demselben! Gib ihm keine Freiheit,
sondern folge dem Beispiel deines Heilandes, ,,welcher
nicht wieder schalt, da Er gescholten ward, nicht drohte,
da Er litt, Er stellte es aber dem anheim, der da recht
richtet". - Du, der du glaubst und begnadigt bist, aber mit
einer schweren Begierde des Fleisches zu kämpfen hast, hüte
dich! Höre die Worte des Apostels: ,,Ich ermahne euch als die
Fremdlinge und Pilgrime: Enthaltet euch von fleischlichen
Lüsten, welche wider die Seele streiten." - Du, der du glaubst
und begnadigt bist dein Herz aber ist so von irdischen Dingen,
von deinen irdischen Gütern, deinem Geschäft usw. eingenommen,
daß du zuerst und zuletzt an diese denkst und von ihnen redest
- wisse, daß dies ein ernstes Zeichen dafür ist, daß du nicht
recht nüchtern und wach bist. Ja, wenn du nicht aufwachst, dann
werden diese Dornen die gute Saat in dir ersticken, so daß du
ein falscher Christ wirst, mit dem Mund und mit einigen
frommen Beobachtungen geistlich, im Herzen aber irdisch. -
Du, der du glaubst und alle herrlichen Dinge besitzt,
die Gott uns in Christus gegeben hat, dabei aber deine
Mitmenschen in geistlichem Tod und geistlicher Sicherheit
einer ewigen Verdammnis entgegeneilen sehen kannst, ohne das
geringste zu ihrer Erweckung zu tun und mit ihnen von allem
anderen redest, in der Stille aber von ihrem künftigen
Unglück weißt, - erwache und bitte Gott um eine aufrichtige,
beständig in deinem Innern wirkende Liebe, daß du
Gelegenheit, Mittel und Wege suchst, deinen Mitmenschen zur
Errettung zu dienen! - Du, der du glaubst und begnadigt
bist, deinem armen Bruder aber in seiner Not dein Herz
verschließest, obwohl du ihm mit deinen Mitteln helfen
könntest - wie bleibt die Liebe Gottes in dir? Töte hier
dein Fleisch, das alles für sich und die Seinigen behalten
will. - Sieh, aus solchen Beispielen kannst du merken, was
es heißt, daß in dem Glauben Tugend, heilige Kraft und Eifer
gefunden werden. Hierzu sagt der Apostel: ,,Wendet allen
euren Fleiß daran!" Bittet Gott um Seinen Heiligen Geist, so
zu glauben und so zu lieben, daß es sich in eurem ganzen
Wandel beweist! Gott vergebe uns allen, worin es bei uns
mangelt. Er erfülle uns mit solcher Freude und Kraft aus den
teuren und größten Verheißungen, die Er uns geschenkt hat,
daß eine wirkliche Besserung folgen möge!
Hilf Gott, Du Herr der Herrlichkeit,
Daß ich von Herzen allezeit,
Mich halte zu dem Einen;
Daß ich stets glaub an Jesum Christ
Und Liebe übe ohne List.
Mein Trost bist Du alleine.
C.O.Rosenius
In der Tugend Erkenntnis. 2. Petrus 1, 5.
Nachdem Petrus die Gläubigen ermahnt hat: ,,So wendet allen
euren Fleiß daran, daß in eurem Glauben Tugend erfunden
werde", fügt er ,,und in der Tugend Erkenntnis" hinzu. Ein
merkwürdiges Wort, aber reich an gesunder Lehre, und das auch
für die eifrigsten Christen. Was bedeutet es denn? Das Wort
im Grundtext bedeutet auch ,,Weisheit, Verständigkeit."
Hierin liegt folgende Lehre: Ein wahrer Christ soll nicht nur
,,Tugend", heiligen Eifer und Kraft ausüben, sondern auch
zusehen, daß er sie in der verständigsten Weise ausübt, mit
Weisheit und Unterscheidung. Er darf nicht blindlings
zuwegegehen, sondern muß mit Gebet um Erleuchtung durch den
Geist des Herrn beständig bedenken, was für jeden Fall das
weiseste und zur Förderung der Ehre Gottes und zum Wohl der
Menschen das dienlichste ist. Ist nicht auch dies eine
höchst wichtige Ermahnung? Wenn wir recht bedenken, welcher
Tausendkünstler der Satan ist, um uns irrezumachen, und
wieviel Schaden und Ärgernis es hervorruft, wenn ein Christ
in wohlgemeintem Eifer eine ,,Torheit in Israel" begeht, dem
Lästerer Raum und den schwachen Seelen Anstoß gibt ach, wie
wichtig muß es uns dann sein, mit Furcht vor unserem eigenen
Geist Gott beständig um Sein Licht zu bitten und zu suchen,
immer mehr Erkenntnis darüber zu erhalten, was ,,Gottes
guter, wohlgefälliger und vollkommener Wille" ist.
Aber welch ein aufrichtiger Geist und welche scharfe
Aufmerksamkeit aufs Herz sind hier erforderlich, damit sich
unter dem Vorwand dieser Weisheit kein Schalk verbirgt, wenn
man in Wirklichkeit doch nicht die Ehre Gottes und das Wohl
der Seelen, sondern nur Menschengunst und fleischliche Ruhe
sucht, so daß deine Weisheit und Vorsicht eigentlich ein
Entweichen der Natur von dem Kreuze, von dem Haß und der
Verfolgung der Menschen ist. Ach, wie ist das Herz so
falsch, wie ist der Weg so schmal! Der eine verachtet die
Lehre von der Demut und der Weisheit unter dem Vorwand der
,,Aufrichtigkeit" und des heiligen Eifers; der andere ist
ein dummes Salz, das seine Kraft verloren hat, und der sich
deshalb so leicht nach dem Geschmack aller richten kann, dies
aber Weisheit und Vorsicht nennt. Wie notwendig ist es,
scharf aufs Herz achtzugeben, auf die Beweggründe, ob du
wirklich die Ehre Gottes und das Wohl der Menschen suchst und
förderst, oder ob es nur Menschengunst und fleischliche Ruhe
ist.
Wir wollen nun mit einigen Beispielen aus unseren jetzigen
Verhältnissen zeigen, was das heißt: ,,In der Tugend
Erkenntnis". Es ist Tugend, es ist heiliger Eifer und
heilige Kraft, daß du für die Ehre Gottes und das Wachsen
Seines Reiches eiferst, die Schlafenden zu wecken und die
Unsittlichen zu ermahnen suchst. Aber ,,Erkenntnis",
Verstand und Unterscheidung ist dieses, daß du auch die
rechte Weise und den rechten Augenblick beachtest. Der
rechte ,,Augenblick" ist im allgemeinen der erste, oder, wenn
du die Sünde, die du siehst, sogleich strafst. Die Weisheit
aber erfordert oft, daß du nicht so handelst, wenn z. B.
dein Nächster gereizt ist oder wenn er sich soeben gegen dich
vergangen hat; denn dann wird deine Ermahnung als eine
Äußerung deines gekränkten Gefühls aufgenommen. Wähle im
Gegenteil eine Gelegenheit, wo zwischen dir und ihm das beste
Einvernehmen herrscht, so daß er einsehen kann, daß du von
der Liebe getrieben wirst. Die übliche Weise ist, die
Bestrafung nach dem Versehen zu bemessen, einen schwereren
Fehler also härter und einen geringeren gelinder zu strafen.
Die Weisheit aber lehrt oft, daß man auf den Zustand der
Person achten muß. Wenn es eine stärkere und
selbstzufriedenere Person ist, mußt du schon den geringsten
Fehler strafen, wenn es dagegen ein schwacher, zarter
Jünger ist, mußt du entweder ganz schweigen oder aber die
gelindesten Worte gebrauchen und zu verstehen geben, daß du
selbst die Macht des Versuchers und deine eigene Schwachheit
fühlst, das Gute an deinem Bruder erkennst und ihn auch in
seiner Trauer über seine Sünde tröstest, ihn aber vor der
Sünde warnst.
Noch ein Beispiel: Es ist Tugend, es ist heiliger Eifer und
heilige Kraft, daß du alles eitle und lose Wesen verabscheust
- wie z. B. Eitelkeit und Überfluß in Speise, in Kleidung
und Hausgerät, Leichtsinn und Unbedachtsamkeit im Umgang -
und dich ernstlich auf die Kreuzigung des alten Menschen
legst sowie unter Mitchristen dafür eiferst. Aber auch hier
sollst du Verstand und Unterscheidung anwenden, so daß du auf
den Nutzen und den Zweck blickst, nämlich auf die Ehre Gottes
und auf dein und anderer Menschen Wohl, und danach daß Maß
und den Grad für jeden einzelnen Fall einrichtest, daß du
dabei aber nicht in ein blindes Formwesen gerätst, wie es
etwa die Geistlichkeit der Pharisäer und ähnlicher Heiliger
ist. Blicke ich auf den Zweck z. B. des Fastens und der
Mäßigkeit in Speise, Kleidung, Schlaf, Hausgerät usw., dann
muß ich zuweilen mehr, zuweilen weniger streng sein, je
nachdem es die Umstände erfordern, also strenger leben, wenn
es nötig ist, z. B. zur Kreuzigung meines eigenen Fleisches
oder weil es die Sitte der Frommen an dem Ort erfordert,
oder wegen meiner irdischen Verhältnisse usw., aber dagegen
weniger streng, wenn die Umstände diese Veränderung
erfordern, d. h., wenn eine solche Veränderung dienlicher
ist, die Sache des Herrn sowie mein Wohl oder das der
Mitmenschen zu fördern. Der Apostel ermahnt: ,,Ihr eßt nun
oder trinkt, oder was ihr tut, so tut es alles zu Gottes
Ehre." Ein solches Achtgeben auf die Umstände, auf den Zweck,
auf die Vorschrift der Liebe und Weisheit für jeden Fall, das
ist ,,in der Tugend Erkenntnis" Gutes tun, Nutzen schaffen.
Darauf sieht Gott, wenn es unseren Wandel gilt.