2Petr 1,2
C.O.Rosenius
Gott gebe euch viel Gnade und Frieden durch die Erkenntnis
Gottes und Jesu Christi, unseres Herrn! 2. Petrus 1, 2.
Ihr lebendigen Christen, hütet euch davor einzuschlafen, zu
erschlaffen, stehenzubleiben, abzusterben! Wachset, sucht
immer mehr Glauben und Erkenntnis Christi, mehr Liebe, mehr
himmlischen Sinn, mehr Demut und Gottesfurcht! Wenn jemand
sagen würde: ,,Ich habe genug Glauben, genug Liebe zu Gott
und den Menschen, genug Friede und Freude im Heiligen Geist,
genug Demut und Gottesfurcht," dann würden wir vor einem
solchen Zustand, vor einer solchen Macht der Finsternis über
den Sinn und einer solchen Sicherheit und Bezauberung
erbeben. Wenn ein Christ gar keine Vermehrung in diesen
Stücken sucht, dann ist die Gefahr vorhanden, daß er sagt:
,,Ich habe genug Glauben, genug Liebe und Gottesfurcht." Ja,
es steht wahrlich nicht recht gut, wenn ein Christ sich gar
nicht um diese Sache kümmert. Das Wachsen in der Gnade
gehört deshalb zu den Stücken, die unseren Zustand prüfen und
offenbaren.
Mancher fühlt bei solcher Betrachtung einen Pfeil im Herzen.
,,Ach, wo ist mein Wachstum in der Gnade?" seufzt er. ,,Ich
gehe im Gegenteil rückwärts." Einige wiederum lesen das Wort
vom Wachstum mit einem ganz ruhigen, nur forschenden,
studierenden Blick. Sie überlassen es andern, es zu Herzen
zu nehmen. Hier bewahrheiten sich die Worte Luthers:
,,Die sich fürchten sollten, die fürchten sich nicht; die
sich aber nicht fürchten sollten, die fürchten sich." Es gibt
eine Bezauberung, eine Macht der Finsternis, die die Seele
ruhig, stark, mutig, entschlossen, hart und verstockt macht,
so daß sie nichts empfindet, nichts befürchtet und nichts auf
sich bezieht, sondern nur denkt, versteht und redet. Sollte
diese Bezauberung etwa auch bei dir begonnen haben, der du
ein Christ bist und der du den Herrn Jesus sagen hörst: ,,Wer
fromm ist, der sei immerhin fromm; und wer heilig ist, der
sei immerhin heilig", aber ,,Wer böse ist, der sei immerhin
böse"? Bekümmerst du dich darum - oder bist du dir dessen
bewußt, daß du im Laufe der Tage dich nicht um eine Zunahme
kümmerst, und daß auch die eigenen ernstlichen Ermahnungen
Christi dir nicht zu Herzen gehen? Sollte dein Herz etwa
bezaubert sein? Weshalb nicht? Weshalb würdest gerade du
der Bezauberung von seiten des Geistes der Finsternis
überhoben? Hat der Teufel keine böse Absicht mehr mit dir?
Ist er jetzt gut geworden, oder ist er tot? Rechte Christen,
die nicht ganz eingeschlafen sind, haben oft die größte Sorge
darüber, daß sie kein Wachstum bei sich finden. Sie haben
deshalb noch einen Geist der Furcht des Herrn in ihren Herzen
und stehen noch unter Seiner Regierung, wodurch allen Dingen
abgeholfen wird.
Luther sagt, daß der Glaube im Herzen nie still ist, vielmehr
entweder in der Zunahme oder in der Abnahme begriffen ist; wo
das nicht geschieht, da ist kein lebendiger Glaube, sondern
nur eine tote Einbildung von Gott im Herzen. Dies gilt vom
ganzen Gnadenleben im Herzen, vom Glauben, von der Liebe und
der Gottesfurcht. Es ist ein bezeichnendes Merkmal der
Pflanzung, die der himmlische Vater gepflanzt hat, daß sie
von der geistlichen Wartung und Nahrung abhängt und deshalb
zuweilen belebt wird und zunimmt, zuweilen dagegen abnimmt.
Der Glaube hingegen, der von dieser Nahrung nicht abhängt,
sondern immer gleich fest steht, ist nur ein selbstgemachter
und toter Glaube.
Hier ist aber ein Unterschied zu beachten. Der allgemeine
Sicherheitsglaube hat das grobe Zeichen, daß er nicht nur
ohne jegliche geistliche Nahrung weiterlebt, sondern gerade
dann am stärksten ist, wenn kein Gotteswort ihm zu nahe
kommt, weil er durch das Wort Gottes erschüttert und gestört
wird. Die feineren Werkheiligen ähneln aber darin den
Christen, daß ihr Glaube und ihr Friede abhängig und
veränderlich sind, aber sie sind abhängig von ihren
religiösen Beobachtungen. Wenn sie ihre bestimmte Stunde des
Tages zum Lesen, Beten usw. versäumt haben, oder wenn sie
einen Riß in ihrem Frömmigkeitskleid bekommen haben, dann ist
ihre Zuversicht erschüttert, und der Friede wird nur durch
erneute Beobachtung der versäumten Andacht wiederhergestellt.
Der wahre Glaube aber beruht nicht auf der Beobachtung des
Lesens oder des Betens, sondern auf dem Inhalt dessen, was
gelesen wird, auf dem Wachsen oder Abnehmen der Erkenntnis
Christi. Darum sagt der Apostel, daß die Gnade und der
Friede sich vermehren durch die Erkenntnis Gottes und unseres
Herrn Jesus Christus. Der Trost und die Stärke, die nicht
davon abhängen, sondern von sich selbst leben, sind nicht die
rechte Gnade, sondern eine Blume, die aus dem eigenen Herzen
wächst und die sofort verwelkt, wenn ,,der Geist des Herrn
dareinbläst".
Wenn das Gnadenleben aber immer entweder in der Zunahme oder
in der Abnahme ist, dann ist es eine erschreckliche Sache,
nicht darauf achtzugeben, sondern ganz unbesorgt um die
Zunahme weiterzuleben; denn, wenn es wirklich in der Abnahme
begriffen ist, dann wird es auch aussterben, wenn nicht eine
baldige Änderung geschieht. Wenn es eine Zeitlang außer acht
gelassen wurde und abgenommen hat, dann muß es notwendig bald
wieder erweckt, belebt und gestärkt werden, sofern nicht der
geistliche Tod die Folge werden soll.
Steht auf! Laßt uns eilen, nicht hinten zu bleiben;
Ermuntert euch lieber, wie Jesus zu treiben.
Verlaßt ihr das Zepter des Königs hienieden,
Dann sind wir, bedenkt's doch, auf ewig geschieden.