1Petr 2,1
S.Keller
1. Petr. 2, 1: «So leget nun ab ... Neid ...»
Ist das unüberlegt oder beleidigend, daß Petrus bei seinen
Lesern vorauszusetzen scheint, daß sie neidisch sind - oder
zeigt das den reifen Menschenkenner? Ich möchte mich für das
letzte entscheiden. Geistlicher Brotneid, daß man dem andern
seine Erfolge im Reich Gottes nicht gönnt oder seine
Heilandsnähe, gehört zu den letzten Lastern, die ein Christ,
der vor Gott wandelt, ablegt. Denn dieser Neid ist wie
feiner Staub, der sich unmerklich in alle Falten des
Herzens setzt. Man kann in dieser Staubluft nicht atmen,
beten! Achte aber noch auf eine Besonderheit: ein ganz
Unmusikalischer pflegt den fremden Sänger mit der schönen
Stimme gar nicht zu beneiden, während der Stümper, der sich
sonst daheim gern hören läßt und nach Anerkennung seiner
Stimme hungert, am meisten unter den Qualen des Neides
leidet. Schärfer als der Neid sieht nur noch erbarmende
Liebe. Es gibt Bilder, die sind unter der schärfsten Lupe
gemalt; so malt der Neid des Bruders Fehler. Wollen wir
nicht beim nächsten Hausputz unserer Seele den Neid zum
letztenmal ablegen und als einen nutzlosen, gefährlichen
Stauberreger in eine Kiste packen und diese zum Teufel
schicken?
Herr, hilf mir, von jeder solchen häßlichen Regung loskommen.
Auch wenn mir scheint, daß du jemand doch viel lieber hast
als mich. Erbarme dich und reinige mich vom Neid, durch den
ich mich ja nur noch weiter von dir entferne. Reinige mich
und habe mich dann soviel lieb, als ich's vertragen kann.
Amen.
C.O.Rosenius
So leget nun ab alle Bosheit, allen Betrug, Heuchelei und
Neid und alles Afterreden. 1. Petr. 2, 1.
Es ist ein schreckliches Zeichen unseres tiefen
Verdorbenseins, daß man, oft ohne eine eigentliche Ursache zu
wissen, lieber von dem redet oder hört, was am Nächsten
schlecht ist, als von seinen löblichen Eigenschaften. Obwohl
wir um unseren eigenen Namen so besorgt sind und kaum
ertragen können, daß jemand auch nur das geringste Schlechte
von uns redet, sondern jeder gern möchte, daß die ganze Welt
nur alles Gute von ihm zu sagen hätte, können wir dennoch
nicht hören, daß man sich über andere in lobender Weise
äußert. Aus dieser Saat der alten Schlange ist solch ein
Sündenwesen entsprungen und so allgemein geworden, daß kaum
zwei oder drei zusammenkommen, die nicht bald irgendeinen
Menschen zum Gegenstand einer lieblosen und wenig
gewissenhaften Unterhaltung machen. Ja, gibt es nicht
sogenannte Freunde und Bekannte, ja, sogar Verwandte, die
sich gerade dazu besuchen, um Stoff zu bösen Gedanken und
Berichten zusammenzutragen? Und findet man dann wirklich
etwas Böses zu sagen, so wird dies in einer sehr
ausführlichen, gründlichen und umständlichen Weise
untersucht, begründet und ausgemalt. Das heißt ,,seinen
Nächsten verraten und verleumden" und ist schon eine
offenbare Sünde gegen das heilige Gesetz der Liebe: ,,Was ihr
wollt, daß euch die Menschen tun sollen, das tut ihr ihnen
auch."
Gewöhnlich aber bleibt es nicht dabei, daß man nur das
wirklich Böse bespricht, auslegt und ausbreitet, sondern Hand
in Hand damit pflegt auch zu gehen, daß man seine kleinen
Zusätze und weitere Bemerkungen macht, auch über innere
Beweggründe und Absichten, die das Böse noch ärger machen
sollen. Wenn nun ein jeder bei einem erneuten Bericht
dieselbe Art des bösen Herzens hat, etwas zu dem Fehler des
Nächsten hinzuzufügen und ihn dadurch zu vergrößern, dann
wird, je weiter der Bericht läuft, der Fehler desto größer
und schlimmer, so daß man schließlich das kleine Körnchen
Wahrheit, das das erste Samenkorn des nun unförmlich
aufgebauschten Berichtes war, kaum wiedererkennen kann. Das
erfahren wir ja alle Tage. Möchte doch ein jeder, der noch
etwas Furcht vor Gott und der Sünde hat, sich recht davor
hüten, an solchen Handlungsweisen teilzunehmen. Man kann
sonst sehr leicht dahin kommen, etwas nachzusagen, was
ursprünglich nichts Geringeres als eine nur aus Rache und
Unwillen erdichtete Lüge war. Ob Gott es dir zugutehalten
wird, daß du entweder in gutmütiger Gedankenlosigkeit oder
aber aus einem heimlichen Groll gleich alles glaubst und
nachsagst, was die Menschen berichten? In dieser Weise ist
mancher, ohne daß er es eigentlich gewollt hätte, zum
Verleumder geworden. - Alles, was bei der Welt und den
Heuchlern im Schwange geht, wird auch den Kindern Gottes zur
Versuchung. Darum hüte dich!
Auch da, wo der gute, willige Geist und die Liebe wohnen,
hat man noch das verderbte Fleisch, die Bosheit des alten
Herzens. Daher kommt es, was die Gottesfürchtigen so oft mit
Schmerzen fühlen und erkennen, was aber die Unachtsamen
übersehen, daß ihre Meinung, ihr Urteil oder ihre Ansicht
über einen Menschen oft nur auf seinem Verhalten ihnen
gegenüber beruht. Wenn ein Mensch mir gewogen ist, Gutes von
mir denkt und redet, kann ich bei ihm alles leicht zum besten
kehren, selbst wenn er sonst nicht der beste Mensch ist.
Wenn dagegen ein sonst weit vollkommener Mensch mich nur
zufällig beleidigt, z. B. eine unpassende Bemerkung über
mich gemacht oder durch irgendeinen Umstand meine Ehre
verdunkelt hat, dann spüre ich sogleich in meinem Herzen eine
gewisse heimliche Neigung, bei ihm Fehler zu suchen und
dieselben womöglich zu verbreiten und so zu vergrößern.
Welch ein abscheuliches Untier ist doch das gefallene
Menschenherz! Nur darum, weil z. B. dein Hochmut durch
eine Bemerkung verwundet wurde, willst du suchen, alles Böse
über deinen Nächsten zu erdenken und zu sagen! Kann er nicht
dennoch ein rechtschaffener Mensch sein, obwohl er dir eine
Warnung gegeben hat? Oder wenn es Gott gefallen hat, ihn vor
dir mit einer gewissen Gabe und Auszeichnung zu segnen, kann
er nicht doch ein braver Mensch sein? Warum willst du mit
deinem Nachbarn nur darum Händel suchen, weil sein Acker oder
sein Handel mehr als der eigene gesegnet zu sein scheint?
Wie mancher hat aus einer solchen einzelnen und heimlichen
Ursache angefangen, in seinem armen Herzen alles Böse von
demselben Menschen zu denken und zu reden, den er früher
jahrelang geliebt hat und an dem er zu jener Zeit alles Gute
sah!
Es ist einem Christen sehr nützlich, auf diese Falschheit
und Hinterlist des argen Herzens beizeiten achtzugeben. Wir
sehen ja unaufhörlich Beispiele dafür, daß böse oder gute
Beurteilungen auf unserem Vorurteil und unserer Deutung
beruhen. Eine Sache, die einem böswilligen Menschen ganz
schwarz erscheinen kann, ist einem anderen, der der
betreffenden Person gewogen ist, etwas ganz Harmloses, ja,
sogar etwas Lobenswertes. So kann das Urteil auf der Deutung
beruhen.
Laßt uns dies tief bedenken und uns vor unserem Herzen hüten
- uns davor hüten, den Gedanken und den Gefühlen zu folgen,
die bei uns gegen die entstehen, die uns beleidigt haben.
Ja, wahrlich, wenn sich Haß und Neid gegen deinen Nächsten in
deiner Seele regen, wenn du in deinem Herzen ein Verlangen
spürst, über ihn herzufallen, und wenn dir diese oder jene
Erzählung von ihm auf der Seele brennt, dann hüte dich! Dann
ist eine Macht der Finsternis im Anzug!
O Gott, nimm meine Lippen
Mit Lieb und Wahrheit ein,
Daß sie nicht falsche Klippen
Für meinen Nächsten sei'n.
Verleumdung, Tück und Lügen
Zu reden ohne Furcht,
Wird dein Gericht einst rügen;
Dein Wort hat es verflucht.