1Tim 1,5
C.O.Rosenius
Die Hauptsumme des Gebots ist die Liebe. 1. Tim. 1, 5.
Das größte und schlimmste Übel, das aus einem leichtsinnigen
und falschen Umgang mit dem Gesetz fließt, ist dieses, daß
Menschen, die Gott sonst nicht verachten, sondern Gottes
Kinder und Nachfolger sein wollen, doch nichts anderes als
Werkheilige, eingebildete und verblendete Pharisäer werden
und also für den Geist des Herrn viel unzugänglicher sind als
die gottlosesten Sünder. Von ihnen sagt Christus: ,,Die
Zöllner und Huren mögen wohl eher in das Himmelreich kommen
als ihr."
Diese unbewußte, betrügerische und verblendete Werkheiligkeit
entsteht dadurch, daß ein Mensch das heilige Gesetz so falsch
behandelt, daß er nur auf die Werke sieht und nur darauf, wie
er leben soll, nicht aber auf das Herz und dessen Liebe,
Reinheit und Heiligkeit achtgibt, was doch das erste und
wichtigste ist, das Gott in Seinem Gesetz fordert. Er macht
sich stattdessen eine Tagesordnung gewisser frommer Übungen,
die er vollziehen kann, z. B. einige hervorragende
sündliche Gewohnheiten abzulegen und eine tägliche Übung des
Wortes Gottes und des Gebetes anzufangen. Dadurch wird er
dann getröstet, als hätte er alles getan, was er hätte tun
sollen und als wäre es nur das, was Gott von uns verlangt,
während er kaum einmal das beachtet, geschweige denn erfüllt
hat, was Gott in Seinem ersten Gebot fordert.
Wenn er sich nun gar nicht um solche Dinge kümmert, die Gott
zuerst fordert und die das erste und vornehmste Gebot sind,
wenn er ganz oberflächlich ,,das Schwerste im Gesetz"
verachtet und übersieht, so ist das ja nichts anderes, als
geradezu eine Falschheit vor dem Angesicht Gottes zu üben,
als offenbar mit Gott einen gewissen Spott zu treiben. Denn
wenn er einen solchen Unterschied in dem Gesetz Gottes machen
kann, dann hat er ja damit bewiesen, daß er trotz seiner
Frömmigkeit nicht nach Gott fragt, sondern nur seine eigenen
Werke, ja, sich selbst und seine Vortrefflichkeit und
Heiligkeit, nicht aber Gott und Seine heiligen Augen, Seinen
Willen und Seine Gebote achtet, sondern sie, obwohl unbewußt,
verspottet und verachtet. Er freut sich dessen, daß er diese
oder jene sündliche Gewohnheit hat ablegen können. Er
pflegte z. B. früher zu fluchen oder Gottes Namen zu
mißbrauchen und tut das jetzt nicht mehr. Er pflegte früher
den Sonntag mit irdischer Arbeit und irdischem Zeitvertreib
zu entheiligen, jetzt tut er das nie, sondern will während
dieses ganzen Tages das Wort Gottes üben. Er lebte früher in
schädlichem Überfluß an Essen und Trinken und an Kleidung,
jetzt hat er das abgelegt. Ja, er lebte vielleicht in
irgendeinem Laster, in Unzucht oder in Unehrlichkeit beim
Handel und in der Arbeit, jetzt hat er durch Gottes Gnade
solche Sünden abgelegt.
Ist das nicht ein Sieg nach dem anderen? Ist das nicht
Heiligung? Ist das nicht ein bekehrter Mensch, ein Christ?
- Ja, er tut noch mehr. Er kümmerte sich früher nicht im
geringsten um das Wohl und Wehe anderer, jetzt nimmt er sich
die Not der ganzen Welt zu Herzen und leistet den Menschen
sowohl leibliche als auch geistliche Hilfe. Sind das nicht
Früchte des Geistes? Ist das nicht die Liebe, die des
Gesetzes Erfüllung ist? Und sollte der Mensch, der solche
Zeugnisse der Werke hat, nicht getrost sein? Sollte er nicht
das Recht haben zu glauben und sich das Verdienst Christi
anzueignen?
Zu gleicher Zeit aber treibt er eine große Schalkheit vor
Gott, weil er Sein erstes und vornehmstes Gebot, das nämlich
das Herz fordert, nie beachtet und nie bedenkt, wie es mit
seinem Innern steht, zum Beispiel mit der Liebe zu Gott, mit
der Reinheit in Gedanken und Begierden, mit der Reinheit von
der Eigenliebe und Selbstgefälligkeit, von Neid und von Haß.
So ist er ein Heuchler, der solche inneren Sünden nicht
beachtet, aber das sieht er nicht. Und warum sieht er das
nicht? Das kommt von dem Rosenschleier äußerer Heiligkeit
und guter Werke, der sein Inneres so bedeckt, daß er nie der
Gottlosigkeit gewahr wird, die darin herrscht. Heißt das
aber nicht, das Gesetz Gottes falsch zu behandeln, nicht
darauf achtzugeben, wie Gott zuerst nach dem Herzen sieht und
wie ein jedes Gebot Gottes zuerst die innere Heiligkeit
fordert? Der heilige Eifer Gottes läßt sich nicht mit Werken
betrügen, sondern will den ganzen Menschen nach Seinem Sinne
haben, wie Er spricht: ,,Ihr sollt heilig sein; denn Ich bin
heilig, der Herr, euer Gott!"
Diese Heuchelei, dieses falsche Spiel mit dem Gesetz waren
die Ursache dafür, daß Christus die Pharisäer angriff. So
sagt Er zum Beispiel: ,,Ihr haltet die Becher und Schüsseln
auswendig reinlich, inwendig aber ist es voll Raubes und
Fraßes. Ihr seid gleich wie die übertünchten Gräber, welche
auswendig hübsch scheinen, aber inwendig sind sie voller
Totengebeine und allen Unflats. Also auch ihr; von außen
scheint ihr vor den Menschen fromm, aber inwendig seid ihr
voller Heuchelei und Untugend. Ihr verzehnt die Minze, Dill
und Kümmel und laßt dahinten das Schwerste im Gesetz, nämlich
das Gericht, die Barmherzigkeit und den Glauben." Möchten wir
doch einmal aufwachen und bedenken, daß dies der Eifer
unseres Herrn Jesus Christus um das Gesetz ist, und daß Gott
in dieser Weise unser Verhalten dem Gesetz gegenüber ansieht
und richtet.
Vom Gesetz verdammt, ja, verloren in mir,
Verdien' ich nur ewig zu sterben;
Erbarm' Dich, O Jesu, ich flehe zu Dir,
Ich kann mir nichts selber erwerben.
Ich sündig ja bin gegen alle Gebot'
Und habe nichts, was mich schützt vor Dir, Gott!
Geh' nicht ins Gericht mit mir Armen!