1Thes 2,5
S.Keller
1. Thess. 2, 5: «Wir sind nie mit Schmeichelworten
umgegangen ...»
Wirklich nie? Einen fremden bissigen Hund kann man
vielleicht mit etwas Schmeichelworten dazu bringen, daß
er aufhört zu knurren und leise mit dem Schweif wedelt.
Aber Menschen? Liegt nicht eine Art Mißachtung des fremden
Urteilsvermögens und der fremden Persönlichkeit darin, wenn
wir durch Schmeicheln versuchen, sie zu gewinnen? Wenn mir
Leute schmeicheln, werde ich argwöhnisch: was wollen die von
mir nachher für einen Gegendienst? Wird ihre Bitte nicht
gerade so unnobel sein wie vorher ihr Schmeicheln? Es ist
nicht genug, daß wir selbst nie - wirklich durchaus nie
schmeicheln; wir müssen auch unseren Bekannten jede Lust, uns
zu schmeicheln, benehmen. Ist nicht schon genug Unwahrheit
in unserem Verkehr, wozu noch dieses Streicheln der Eitelkeit
auf Kosten der Wahrheit. Die größte Verblendung ist dann
erst, wenn man bei der Lobhudelei der Schmeichler gar nicht
merkt, wie wenig Ernst dahinter steckt und wie lächerlich wir
uns machen, wenn wir ihr Glauben schenken. Wie anders nimmt
man die leiseste Herabsetzung der eigenen Persönlichkeit auf,
mag sie noch so viel Wahres enthalten, als die albernste,
unwahre Schmeichelei!
Herr Jesu, in deinem Munde ist kein Betrug erfunden.
O, mache uns gefeit gegen jedes Menschenlob und lehre
uns die Ehre suchen, die vor Gott gilt. Behüte unsere
Lippen, daß sie nichts Trügerisches reden und nie aus
Menschengefälligkeit schmeicheln und heucheln. Hilf
uns wahr sein in der Liebe! Amen.