Kol 3,13
C.Eichhorn
Die tragende Liebe (II)
Es vertrage einer den andern! Kol. 3, 13
Wir geben alle einander zu tragen. Daneben gibt es Menschen,
die wirklich nur eine Last für andere sind, die keine
Stärkung und Erquickung bieten, sondern nur Beschwerde und
Verdruß bereiten Tag für Tag. Auch solche wollen wir tragen,
wenn Gott sie an unsere Seite gestellt hat. Sie sind uns
eine heilsame Übung in der Geduld, ein Schleifstein, durch
dessen Härte so manche Ecken und Kanten in unserem eigenen
Wesen abgeschliffen werden sollen. Jesus ertrug drei Jahre
lang einen Judas, der ihm nie eine Erquickung war, dessen
finsteres, unlauteres, verstecktes Wesen seine heilige und
zarte Seele nur belastete. Er ertrug ihn ganz still, ohne
seinem Herzen Luft zu machen. Wie nahe lag es, sich über
diesen unerträglichen Menschen, wenigstens gegenüber seinen
vertrautesten Jüngern, auszusprechen! Er tat es nicht bis
zum letzten Abend. Er ist der große Lastträger. Er trug der
ganzen Welt Sünde. Auch seine Jünger gaben ihm noch genug zu
tragen mit ihren Untugenden. Auch die erlösten Gotteskinder
erquicken ihn nicht bloß, nein, sie beschweren ihn oft noch
sehr durch ihre immer neuen Verfehlungen, Kleinglauben,
irdischen Sinn und Lieblosigkeiten. Er hat nicht nur einmal
unsere Sünde getragen, er trägt sie fort und fort als unser
Hoherpriester und vergibt immerdar. In Jesaja 53 lesen wir
beides: "Er hat vieler Sünden getragen" und: "Er trägt
ihre Sünden fort und fort." - Wie sind wir von Natur
so unverträglich, weil wir nur die Fehler anderer sehen
und nicht auch die eigenen! Wie wenig sind wir gewillt,
Unliebenswürdigkeiten, Wunderlichkeiten, Launen und Bosheiten
zu ertragen! Wie kurzatmig ist unsere Liebe! Wie schnell
ist die Geduld erschöpft! Wie oft könnten wir einen
fehlerhaften Menschen bessern und fördern, wenn wir uns etwas
gefallen lassen wollten! Anstatt zu ertragen, wehren wir
uns. Anstatt zu schweigen, machen wir nur Vorwürfe. Anstatt
durch Worte der Sanftmut dem andern ins Gewissen zu reden und
ihn von seinem Unrecht zu überzeugen, machen wir unserm
Unwillen und unserm Ärger Luft. Anstatt zu retten, verderben
wir und treiben den andern in Trotz und Verstockung hinein.
Wollen wir ihn von seinen Fehlern befreien, dürfen wir uns
nicht von ihm zurückziehen, wenn wir ihn fehlen sehen.
"Eines müssen wir noch lernen, durch das Leben still zu
geh'n, uns von Liebe nicht entfernen, wenn wir Brüder
fehlen sehn." Der Heiland ließ die Sünden der Menschen auf
sich fallen. So müssen auch wir uns etwas, ja viel und
schließlich alles gefallen lassen. Wenn wir um des Gewissens
willen zu Gott das Böse vertragen und das Unrecht leiden,
wenn wir vielleicht gerade um des Wohltuns willen, so wie
Jesus, leiden müssen, dann ist Aussicht, daß wir die Bösen
gewinnen und Sünder bekehren. Die tragende Geduld hat schon
manches widerspenstige Herz überwunden und das Bekenntnis
hervorgelockt: "Du bist besser als ich. So wie du möchte ich
auch sein." So gesinnt macht uns Jesus, der sanftmütige,
unermüdliche Lastträger.